Außer Atem - Panic Snap
reglose Schatten befinden sich im Raum. Wenn James sich nicht zwischen den Tanks aufhält oder hinter irgendeiner Maschine, dann ist er nicht hier.
Ich bin schon dabei, mich umzudrehen, als eine morbide Neugierde mich packt. Die Laufplanke wurde nach Annas Tod umgebaut. Man hat ein Metallgitter am Handlauf befestigt, damit niemand mehr unter ihm hindurchrutschen konnte. Ich mache einen vorsichtigen Schritt nach vorn und frage mich, wie viele Schritte Anna wohl gemacht hat, ehe sie abstürzte. Ich mache noch einen Schritt und schaue auf die Doppelreihe der Gärungstanks hinunter. Ich gehe zögernd weiter und halte dann abrupt inne. Ich sehe mich um und starre in den dunklen Raum hinunter. Mir war, als hätte ich ein Geräusch gehört, ein leises, kratzendes Geräusch, als wäre jemand gegen einen der Schläuche gestoßen, die auf dem Boden herumliegen, und hätte ihn ein paar Zentimeter mitgezogen. Ich horche, doch alles bleibt still.
»James?«, rufe ich wieder zögernd und unsicher.
Ich gehe vorsichtig weiter und halte mich dabei am Handlauf fest. Ich gehe bis zur Mitte, halte an und schaue hinab. Unerklärlicherweise glaube ich, dass Anna genau an dieser Stelle abgestürzt ist. Ein vages Gefühl des Wiedererkennens überkommt mich, ein nagendes Gefühl der Erinnerung, der Eindruck, als ob die Erinnerung zurückzukommen versucht. Ich sehe Anna vor mir, wie sie ausgestreckt am Boden lag. Doch dann frage ich mich, ob ich mich nicht eher an meinen eigenen Sturz erinnere. Die Ärzte sagten mir, dass meine Verletzungen mit einem Sturz aus großer Höhe erklärbar wären. Anna starb hier, und vielleicht war das ja für mich auch vorgesehen. Ich schaue hinunter, werde schwindelig und habe den Eindruck, dass ich schon einmal hier gewesen bin. Ich erinnere mich daran, dass mich jemand gestoßen oder geschlagen hat, ich erinnere mich an den unerwarteten Schock, an die Plötzlichkeit. Der Beton kommt mir entgegen, und ich sehe mich selbst hilflos hinabfallen.
Erschrocken springe ich zurück. Ich schaue hoch und sehe, dass jemand auf der Laufplanke auf mich zukommt, eine dunkle schattenhafte Gestalt. Es ist James, glaube ich, und ich möchte wegrennen, doch ich kann nicht. Meine Beine, die vor Angst wie mit Blei gefüllt zu sein scheinen, bewegen sich nicht.
»James?«, frage ich stockend.
»Nein«, höre ich Gina antworten. »Ich bin es nur.«
Als sie näher kommt, kann ich sie erkennen. »Sie haben mich erschreckt«, sage ich. »Ich dachte, es wäre James.«
»Es tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht ängstigen. Ich habe gerufen, als Sie sich über das Geländer gebeugt haben. Haben Sie mich nicht gehört?«
Ich schüttele den Kopf. Ich bin sicher, dass sie James und mich im Büro sah und auch seine Faust in meinem Hintern. Bisher habe ich gedacht, dass sie uns hinterherspioniert hat, doch nun frage ich mich, ob sie mich nur bewacht hat, um sicherzustellen, dass mir nichts Schlimmes geschieht.
Sie kommt näher, stellt sich neben mich und schaut über das Geländer hinweg zum Betonboden dort unten.
»Hier ist Anna abgestürzt, nicht wahr?«, frage ich.
»Ja.«
Ich warte darauf, dass sie mir erzählt, was wirklich passiert ist, doch sie sagt nichts mehr. Sie umfasst den Handlauf so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß sind. Sie scheint so nervös und fertig zu sein wie nie zuvor.
»Das war kein Unfall«, sage ich.
Gina antwortet nicht. Es ist schwer für sie, ihren Zwillingsbruder aufzugeben. Schließlich sagt sie: »Anna hätte ihn nicht heiraten dürfen. Sie würde heute noch leben, wenn...« Sie unterbricht sich und sagt dann: »Ich habe versucht, sie von ihm fern zu halten, doch sie wollte nicht auf mich hören. Genau wie Sie.«
Ich warte darauf, dass sie fortfährt. Doch sie schweigt wieder.
»Sagen Sie mir, was geschehen ist«, sage ich.
Noch immer spricht Gina nicht, hält sich nur am Handlauf fest und scheint tief in Gedanken versunken zu sein. Sie gibt einen langen und müden Seufzer von sich.
Ich habe Angst, dass sie es sich anders überlegen und James' Anteil an Annas Tod nicht zugeben wird. Ich sage: »Auf dem Hochzeitsfoto war sie sehr schön.«
Keine Reaktion.
Ich trete näher an sie heran und lege die Hand auf ihre. »Sie war schön auf dem Foto«, sage ich und versuche damit, Gina in ein Gespräch zu ziehen.
Sie dreht den Kopf in meine Richtung und sieht mich an. Schließlich sagt sie: »Ja, das war sie – und noch viel schöner, als auf dem Foto.«
Wieder schweigt sie und starrt in den
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