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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Reese
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lauter werden, näher kommen, und deren Gewicht die Laufplanke in Schwingung versetzen. Gina ist zurückgekommen, um ihr Werk zu vollenden. Ich höre die Schritte auf der Laufplanke immer deutlicher, sehe Beine und dann einen Körper, der sich über den Handlauf beugt. Mit einem Schock erkenne ich James. Dann löst sich langsam meine Verwirrung. Gina konnte einen Sturz von der Laufplanke nicht unversehrt überstanden haben. Da müssen jetzt Blut sein und gebrochene Knochen.
    Er scheint genauso überrascht zu sein wie ich. Er starrt mich einen Moment lang an, dann fasst er schließlich zu, packt meine Arme und zerrt mich hoch. Er tritt mit hängenden Armen zurück, und sein Gesicht ist wie versteinert.
    Er macht kehrt und geht mit schweren Schritten und steifen Schultern bis zum Ende der Plattform. Er geht die Treppe hinunter. Ich schaue über den Handlauf hinweg in die Tiefe und habe sofort das Gefühl von Fallen, Schwindel und Übelkeit. Ich zwinge mich dazu, hinunterzusehen. Selbst in der Dunkelheit kann ich den schattenhaften Körper dort unten liegen sehen.
    Ich steige die Stufen hinab und gehe zu James hinüber. Er sitzt auf dem Boden und hat Gina an die Brust gezogen. Er wiegt sie langsam vor und zurück und flüstert etwas in ihr Ohr. Ihr langes Haar hängt als wildes Durcheinander über seinen Arm, wie eine Kaskade aus schwarzen Locken. Er zieht sie noch dichter an sich, wiegt sie und flüstert ihr weiter Worte zu, die weder sie noch ich hören können.

25
    Es ist das erste Begräbnis, an dem ich teilnehme. Ich höre dem Pfarrer zu, einem kahlköpfigen Mann mit dicker schwarzer Brille, und versuche, mich auf seine Worte zu konzentrieren, gute Worte, da bin ich sicher, tröstende Worte. Doch sie scheinen an mir vorbeizuziehen, sich sanft in die Luft zu erheben und sich aufzulösen, noch ehe ich irgendeine Bedeutung erkennen kann. Ich höre nur die Hintergrundgeräusche, scharrende Füße, ein Husten hier und da, mehrfaches Schniefen, und das Baby, das irgendwo in der Menge gurrt, in einer sehr großen Menschenmenge.
    Ich verlagere mein Gewicht auf das andere Bein. Der Friedhof ist sehr gepflegt – Grabsteine auf kleinen Grabhügeln, bunte Blumen im grünen Gras. Hin und wieder schnappe ich ein paar Worte des Pfarrers auf, Worte, die trösten sollen, doch sie bringen mir keinen Seelenfrieden. Ich starre auf Ginas Sarg aus dunklem, poliertem Holz – vielleicht Mahagoni –, es ist ein teurer Sarg. Der Polizei hat James in jener Nacht gesagt, ihr Sturz sei ein Unfall gewesen. Ich habe keine zusätzlichen Angaben gemacht. Das wollte ich zwar, doch er bestand darauf, dass ich damit warten sollte, bis seine Mutter ihren Kummer überwunden hätte. Gina wird mit einwandfreiem Ruf begraben werden, doch sie kann mir jetzt nichts mehr anhaben.
Das
beruhigt mich wirklich.
    Ich schaue zu James hinüber und sehe, dass er mich mit seltsamer Miene anstarrt. Er wendet sich ab, noch ehe ich den Ausdruck deuten kann. Selbst in seinem Kummer macht er in dem schwarzen Anzug eine hervorragende Figur. Seine Mutter, die neben ihm steht, schwankt leicht, und er nimmt ihren Arm, um ihr Halt zu geben. Sie trägt ein langes dunkles Kleid, und ihr Gesicht ist blass, fast aschgrau. In der Hand hält sie eine gelbe Rose, eine von Ginas Lieblingsblumen. Sie hört dem Pfarrer mit geschlossenen Augen zu und öffnet sie erst, als er geendet hat.
    Ein Hügel Erde aus dem frisch ausgehobenen Grab liegt neben dem Sarg. Als der Sarg abgesenkt wird, tritt James vor und wirft eine Schaufel Erde ins Grab. Es gibt ein prasselndes Geräusch, als sie auf dem Sarg aufschlägt. Mrs. McGuanes Gesicht verzieht sich schmerzlich. Sie tritt neben James, öffnet die Faust und lässt die gelbe Rose ins Grab fallen.
    Auch ich habe eine gelbe Rose; sie hat sie mir vorhin im Haus gegeben. Nun trete ich vor und hebe den Arm. James legt mir eine Hand auf die Schulter und hält mich zurück. Ich verharre mit ausgestrecktem Arm, die Rose noch in der Hand, und schaue zu ihm auf. Er beugt sich zu mir.
    »Du bist doch froh, dass sie tot ist«, flüstert er so leise, dass ich eine Sekunde brauche, um die Worte zu verstehen.
    Erschrocken lasse ich die Rose fallen. Seit Ginas Sturz hat er kaum mit mir gesprochen. »Nein«, sage ich kopfschüttelnd, doch er hat sich schon an die Seite seiner Mutter zurückgezogen, einen gramerfüllten Ausdruck auf dem Gesicht.
    Ich gehe nach oben, weil ich niemanden sehen möchte, gehe den Flur entlang, bis ich vor der Tür zum letzten Raum

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