Außer Atem - Panic Snap
so spät komme«, sagt sie. »Ich musste in der Kellerei noch ein paar Dinge erledigen.« Sie sieht aus, als hätte sie sich in großer Eile angezogen: kein Make-up, immer noch Jeans und Cowboystiefel – allerdings mit einer rosa Satinbluse statt dem üblichen T-Shirt –, vom Wind zerzaustes Haar. »Wir sind heute Abend nur zu zweit«, sagt sie zu mir.
»Oh.« Ich versuche, nicht enttäuscht zu klingen. Weder das Verlangen, das ich gestern Abend gespürt habe, noch meine Verwirrung lässt sich leugnen. Ich schiebe die Vase ein wenig nach links. Als ich aufblicke, starrt Gina mich mit argwöhnischer Miene an.
»James ist geschäftlich in Sacramento«, sagt sie und beobachtet mich genau. Dann fügt sie hinzu: »Er kommt erst Mitte nächster Woche zurück.«
Ich zucke die Achseln.
»Es tut mir Leid, meine Liebe«, sagt Mrs. McGuane und lächelt mich an. »Ich habe völlig vergessen, das zu erwähnen.«
Als Gina sich neben ihrer Mutter an den Tisch gesetzt hat, sagt sie: »Da Sie nun schon für drei gedeckt haben, können Sie doch mit uns essen.«
»Ja, natürlich«, stimmt Mrs. McGuane zu. Sie klopft mit der flachen Hand auf den Tisch. »Setzen Sie sich!«
Mrs. McGuane und ich haben schon häufiger zusammen gegessen, doch es ist das erste Mal, dass Gina dabei ist. Mir ist ein wenig unwohl dabei, mich in ein Familienessen zu drängen. Gina aber schaut auf und lächelt.
»Bitte leisten Sie uns doch Gesellschaft«, wiederholt sie. »Sonst setzt Mutter mir während des gesamten Essens wegen dem Jefferson-Jungen zu.«
»Der Jefferson-
Junge
«, sagt Mrs. McGuane, »ist fast vierzig – genau im richtigen Alter für dich.«
Gina verdreht die Augen.
Ihre Mutter gibt sich geschlagen. »In Ordnung«, sagt sie und hebt die Hände. »Ich sage kein Wort mehr.« Sie schüttelt den Kopf.
»Haben Sie sich in der Kellerei Notizen gemacht?«, frage ich und deute auf den Notizblock, der in Ginas Brusttasche steckt. Mir ist aufgefallen, dass sie nie ohne Stift und Papier unterwegs ist.
Noch ehe sie etwas erwidern kann, sagt ihre Mutter lächelnd: »Gina hat immer etwas zu schreiben dabei – für den Fall, dass sie eine Eingebung hat. Sie ist eine Dichterin – auch wenn sie ihre Gedichte niemandem zeigt.«
Gina wirft ihrer Mutter nur einen ärgerlichen Blick zu und zieht die Nase kraus.
Ich greife nach der Champagnerflasche, die ich in einen Silberkühler gestellt hatte, und öffne sie. Der Korken kommt mit einem Plop heraus, und ich fülle unsere Gläser. Der Champagner duftet herrlich nach Hefe, wie frisch gebackenes Brot, und winzige Blasen steigen in den flötenförmigen Gläsern nach oben.
»Sehr schön«, sagt Mrs. McGuane, nachdem sie einen Schluck getrunken hat. Sie schaut mich an, und ich ahne, dass mir eine weitere Lektion bevorsteht. »In Europa«, sagt sie, »dürfen nur in Flaschen vergorene Schaumweine, die aus der französischen Provinz Champagne stammen, Champagner genannt werden. In Italien heißen diese Weine
spumanti,
in Spanien
cava
und in Deutschland
Sekt.
Kalifornische Winzer, die hinsichtlich der Bezeichnung keine Namensbeschränkungen kennen, nennen ihre in der Regel Schaumwein oder Napa-Valley-Champagner.« Sie nippt noch einmal. »In normalen Gesprächen sind die Begriffe natürlich austauschbar.«
Seit einiger Zeit klärt sie mich wie eine Lehrerin über die Grundbegriffe rund um den Wein auf, so als stünde fest, dass ich noch lange in Byblos bleibe. Während sie weiterspricht, trinke ich einen Schluck. Er fühlt sich weich und cremig an auf der Zunge und hat ein fruchtiges, zitroniges Aroma. Normalerweise freue ich mich über die kleinen Weinlektionen von Mrs. McGuane, doch in Ginas Gegenwart kann ich mich nur schwer konzentrieren. Ich setze mich. Ich schneide und verteile die Quiche, und dabei frage ich mich, ob Gina weiß, dass ich mit ihrem Zwillingsbruder geschlafen habe. Dann schießt mir durch den Kopf, dass ihr Bruder ihr vielleicht davon erzählt hat.
Das Messer noch in der Hand, schaue ich auf und schnuppere. Irgendetwas stimmt nicht. Und schon beginnt der Rauchmelder in der Küche zu schrillen. Gina reagiert als Erste. Sie stößt ihren Stuhl zurück und durchquert das Zimmer im Laufschritt. Ich folge ihr. Als sie die Küchentür öffnet, sehe ich gelbe Flammen vom Herd hochschlagen und über die Arbeitsplatte lecken. Rauchwolken steigen zur Decke hinauf.
Sofort holt Gina den Feuerlöscher aus der Kammer, zieht den Ringverschluss und zielt mit der Düse auf die größte Flamme.
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