Außer Atem - Panic Snap
und unheimlich war. Meine Reaktion hat mich erschreckt. Meine Leidenschaft kam ohne jede Vorwarnung und mit einer Heftigkeit, auf die ich nicht gefasst war. Und natürlich habe ich das Fehlen jeglicher Romantik registriert. Er hat mich flüchtig auf die Schulter geküsst, doch kein einziges Mal haben seine Lippen meine berührt. Irgendwie fühle ich mich betrogen.
Ich schneide einen weiteren Artischockenkopf ab und versuche, nicht an das zu denken, was dem Sex vorausging, aber natürlich geht es mir trotzdem durch den Kopf. Anfangs war es nicht angenehm – ich habe es ganz sicher nicht so genossen wie die rothaarige Frau, die an seiner Treppe festgebunden war und die Peitsche so bereitwillig hinnahm. Doch gegen Ende habe ich gespürt, dass auch ich den Schmerz und die Demütigung annehme, und tief in mir war etwas Erregendes, etwas Fremdartiges, das mich selbst jetzt noch, da ich nur daran denke, erröten lässt. Es war ein verstörend erotisches Gefühl.
Und noch etwas hat mir das Experiment der letzten Nacht gegeben: meine erste Erinnerung. Ich habe nicht wegen der Peitschenhiebe geweint, sondern wegen des Schmerzes, den mir die Prügel damals zugefügt haben. Er kehrte wie ein Blitz zu mir zurück – ich lag reglos da, beinahe tot, und spürte trotzdem meine gebrochenen Knochen, das zerfetzte Fleisch, das warme Blut; ich war so schwer verletzt, dass ich sterben wollte, um mich her war alles dunkel. Als der Landarbeiter mich fand auf dem brachen Feld, lag ich in einem frisch gegrabenen Loch, halb verscharrt erst, so als wäre derjenige, der mich dorthin gebracht hatte, gestört worden, noch ehe er sein Werk vollenden konnte. Vielleicht war es so dunkel, weil ich in dem Loch lag. Ich erinnere mich weder an das Loch noch an das Feld; die Polizisten haben mir, als ich aus dem Koma erwachte, erzählt, wie ich vorgefunden worden war.
Während ich die nächste Artischockenknospe abschneide, denke ich schaudernd über das Loch nach, das mein Grab hatte werden sollen. Am Montag, sage ich mir, werde ich zum Einwohnermeldeamt gehen. Ich werde Anna Maria Monicellis Sterbeurkunde finden. Anna Maria McGuane, korrigiere ich mich selbst. Nur noch zwei Tage bis Montag. Zwei Tage, bis ich erfahre, wie James' Ehefrau gestorben ist und ob ihre Verletzungen den meinen ähnelten. Selbst jetzt noch hoffe ich törichterweise auf ein glückliches Ende. Ich wünsche mir, dass James nicht für all die Verbrechen verantwortlich ist – für den Tod seiner Frau, für den Anschlag auf mich. Doch ich fürchte, so ist es nicht.
Ich betrachte die Artischocken, die den Garten in einer langen Reihe einfassen. Unten bei James' Haus wachsen auch welche, ein paar an der Ostseite von Ginas Cottage und einige in der Nähe der Kellerei. Es sind grandiose, lebendige grüne Skulpturen. Mrs. McGuane hat mir erzählt, sie habe so viele gepflanzt, weil sie sie so schön findet, und über meinen hoffnungslosen Versuch, alles Knospen abzuschneiden, bevor sie erblühen, kann sie nur lachen. Getrocknet lassen sich die Disteln zu herrlichen Sträußen zusammenstellen, sagt sie, und trotzdem beeile ich mich ohne jeden Verstand, so viele abzuschneiden, wie ich nur kann. Ich renne mit der Natur um die Wette, mit der Zeit, so als könnte die Zeit,
meine Zeit,
ablaufen.
Natürlich gibt es Artischocken – eine Quiche mit Gruyère-Käse, Zwiebeln, Artischockenherzen und Schnittlauch. Heute Abend decke ich den Tisch nur für die drei, stelle den Salat und eine Flasche Champagner bereit, einen Schaumwein von Schramsberg, einer benachbarten Kellerei im Napa Valley. Mrs. McGuane liebt Champagner – sie hält nichts davon, ihn für besondere Gelegenheiten aufzusparen, und trinkt ihn zu praktisch allen Gerichten. Als ich in die Küche zurückkehre, sehe ich vom Erkerfenster aus, dass Gina das Gästehaus verlässt und mit entschlossenem Schritt und im Wind wehender Mähne quer über den Rasen auf das Haus zukommt.
Ich kehre mit der warmen Quiche ins Speisezimmer zurück. Mrs. McGuane, die frische Blumen in einer Vase arrangiert, lächelt, als ich hereinkomme. »Das sieht köstlich aus«, sagt sie.
Gelbe, pinkfarbene und blaue Blüten schmücken den Raum und verströmen einen zarten, frischen Frühlingsduft. Ich höre die Küchentür zufallen.
Ein paar Sekunden später kommt Gina herein. Sie nickt mir flüchtig zu und zieht die Mundwinkel ein wenig hoch, nicht wirklich ein Lächeln, dann geht sie zu ihrer Mutter und küsst sie auf die Wange.
»Entschuldige, dass ich
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