Außer Atem - Panic Snap
zu machen. Der blaue Wagen kommt mir in den Sinn.
Ich trete vorsichtig näher. Mit angehaltenem Atem, die Brust vor Angst wie eingeschnürt, linse ich durch den Türspalt.
15
Ich lehne die Stirn an die Tür und spähe ins Haus. Gina sitzt, einen Drink in der Hand auf der Couch, einem hoch aufgepolsterten mandelfarbenen und sehr alten Sofa, auf dessen Armlehnen Sofaschoner liegen, um die abgewetzten Stellen zu verdecken. Im Gegensatz dazu sieht Gina toll aus. Sie trägt einen glänzenden pudrig taubenblauen Overall, und das schwarze Haar fällt ihr in seidigen Strähnen auf die Schultern. Ich schiebe die Tür auf und trete ein.
»Wie ich sehe, haben Sie es sich ja schon bequem gemacht«, sage ich schroff und lege meine Sachen – einen Stapel Post, zwei Kochzeitschriften und meine Handtasche – auf dem Tisch neben der Tür ab.
Sie neigt den Kopf, offenbar überrascht von meinem Ton. »Es tut mir Leid, wenn ich Sie erschreckt haben sollte«, sagt sie. »Die Tür war offen.« Ihr Lippenstift ist von einem hellen Bonbonrot, ihr Mund sieht aus wie eine Maraschino-Kirsche. »Haben Sie jemanden anderes erwartet?«
»Nein«, sage ich kopfschüttelnd. Flüchtig sehe ich mich im Zimmer um und frage mich, ob Gina es durchsucht hat. Oder ob sie in meinem Schlafzimmer war und Dinge gefunden hat, die ich dort versteckt habe – den alten Zeitungsartikel über den Angriff auf mich und den anschließenden Gedächtnisverlust, die Bilder, die während meiner Genesung im Krankenhaus gemacht wurden, die Exemplare des
Wein-Anzeigers
mit der Reportage über Byblos, alle einzeln eingewickelt.
»Wo war James heute Nachmittag?«, frage ich.
Sie übergeht das. »Ich habe gehört, dass Sie knapp einem Unfall entgangen sind«, sagt sie. »Deshalb bin ich hier – ich wollte sehen, ob es Ihnen gut geht.«
»Ihre Mutter hat James auf Clos Pegase gesehen.«
Sie sieht mich kühl an, doch als sie den Kern meiner Frage begreift, werden ihre Lippen schmal. »Sie hat sich geirrt.«
»Kurz bevor es geschah«, fahre ich fort, »als ob er gewusst hätte, was passieren würde, als ob er es sich anschauen wollte.«
Sie hebt das Glas an die Lippen und trinkt. »Wir waren den ganzen Tag zusammen in San Francisco. Fragen Sie ihn.«
Würde Gina für James lügen? Ja, ich glaube, dass sie das tun würde. Natürlich würde sie für ihn lügen. Sie lügen einer für den anderen. Mir geht durch den Kopf, dass sie bei dem Angriff heute vielleicht beide die Hände im Spiel hatten, und ich frage mich, welche Chancen ich habe, mich gegen beide zur Wehr zu setzen. Ich stehe da, wie am Fußboden festgeklebt. Ich kann mich nicht vorwärts bewegen, nicht zurückweichen. Meine Beine sind so schwer wie Bauklötze, die ihr Gewicht meiner eigenen Machtlosigkeit zu verdanken haben.
»Was ist los, Carly?« Sie beugt sich mit besorgter Miene vor. »Warum denken Sie, dass James etwas mit dem Unfall heute Nachmittag zu tun haben könnte?«
Ich seufze, versuche es mit einem Lächeln und schüttele den Kopf. »Das denke ich gar nicht«, sage ich schließlich. »Es hat mich nur überrascht, dass Ihre Mutter ihn dort gesehen hat.«
Gina zuckt gleichmütig die Achseln. »Sie ist ziemlich kurzsichtig.« Das Thema wechselnd, schaut sie sich im Wohnzimmer um und sagt: »Das ist ein ungewöhnliches Haus.« Dazu schwenkt sie ihr Glas. »Von wem haben Sie es gemietet?«
»Von einem Professor«, sage ich. »Er hat ein Sabbatjahr genommen.«
Gina schlägt ein schlankes Bein über das andere und lässt den Fuß ein wenig wippen. Sie trägt wadenhohe blaue Wildlederstiefel. »Offenbar«, sagt sie, »liebt der Professor die Natur.« Wieder schaut sie sich um. »Sehr ungewöhnlich.«
Ich nicke. Das Haus ist klein, und die Wände sind in gedämpften Grün- und Brauntönen gestrichen. In der Küche und im Schlafzimmer sind sie mit blassen Farnblättern, üppigen Ranken und bemoosten Zweigen bemalt. Doch ich würde das Haus nicht ungewöhnlich nennen; ich habe andere Bezeichnungen dafür. Es ist dunkel und heruntergekommen, voll gestopft und eng. Ein sechzig Zentimeter großes Bronzepferd steht neben dem gemauerten Kamin; in einer Ecke des Zimmers wächst ein Philodendron mit löchrigen Blättern ungehindert in einem schweren Terrakotta-Topf; Bücherregale stehen dicht zusammengedrängt an den Wänden, und ein brauner geflochtener Teppich bedeckt den Boden. An den Wänden, die tannengrün gestrichen sind und oben eine protzige Goldleiste als Abschluss haben, hängen ein riesiger,
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