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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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größeren handlungsfähigen Einheiten zusammenzuschließen. Aufgabe der politischen Klasse ist es, die Öffentlichkeit über diese Notwendigkeit aufzuklären. Es ist spät, aber noch nicht zu spät.
    Unabhängig davon, ob ein Umbau der deutschen Bankenstruktur gelingt, der Euro wird sich als ein stabilisierendes Element erweisen. Die gemeinschaftliche Währung und die Europäische Zentralbank werden eine die europäische Integration fördernde Rolle spielen. Wichtiger noch ist, daß binnen zweier Jahrzehnte sich zwischen dem US-Dollar, dem Euro und dem chinesischen Renminbi ein Dreieck von Weltwährungen und infolgedessen ein Zwang zur Kooperation zwischen den drei Zentralbanken ergeben wird und – hoffentlich! –auch ein Zwang zur Kooperation der Finanzaufsichtsbehörden. Die Euro-Währung – mit ihren vergleichsweise niedrigen Inflationsraten, ihren verläßlichen Wechselkursen, mit ihrem großen Volumen und Gewicht in der globalen Wirtschaft – scheint ein Garant dafür zu werden, daß die Europäer die Herausforderungen auf den globalisierten Kapitalund Währungsmärkten jedenfalls mit Erfolg bestehen können. Die innerdeutschen Gegner dieser Gemeinschaftswährung, die den Euro als »Esperanto-Währung« verspottet und sogar über das Karlsruher Verfassungsgericht versucht haben, ihn zu verhindern, müssen heute ihren Irrtum einsehen. Wenn sie sich mit ihrer Forderung nach Erhaltung der unabhängigen Deutschen Mark durchgesetzt hätten, wäre die deutsche Währung mit ihrem relativ geringen Volumen nach den Maßstäben der heutigen Weltwirtschaft eine allzu leichtgewichtige Währung, sie wäre deshalb längst ein wohlfeiles Spekulationsobjekt geworden. Die Deutsche Mark hätte deshalb nicht nur unerhörte WechselkursAufwertungen, sondern auch dramatische Schwankungen hinnehmen müssen – mitsamt deren Auswirkungen auf die stark globalisierte deutsche Wirtschaft.
    Die Europäische Zentralbank ist dank dem Vertrag von Maastricht 1992 noch etwas unabhängiger von politischen Einflußnahmen, als es die Deutsche Bundesbank war. Unter kluger Leitung hat sie ihre Unabhängigkeit gut genutzt und sich in kurzer Zeit international großes Ansehen erworben. Ich empfinde es als beruhigend, daß keiner der beteiligten Staaten die gemeinsame Euro-Währung verlassen und seine eigene kleine nationale Währung wieder errichten kann, ohne schwerste Risiken und Nachteile für die eigene Wirtschaft in Kauf zu nehmen. Der Euro wird Bestand haben – und wir sollten dafür dankbar sein.

Umdenken und umbauen!
    Der vorstehend skizzierte Umbau der deutschen Bankenstruktur ist nur eines der Beispiele für den zwar schwierigen, aber notwendigen Umbau, der unserer Gesellschaft insgesamt bevorsteht. Denn der Alterungsprozeß wird sich fortsetzen; weder politische noch unternehmerische noch kirchliche Vorgaben können die Alterung unserer Gesellschaft wesentlich beeinflussen. Deshalb werden weitere Anpassungen der Arbeitsmarktpolitik und der Sozialpolitik unausweichlich sein. Die notwendigen Entscheidungen betreffen außerdem die Gebiete der Wirtschafts-, Finanzund Steuerpolitik sowie die Gestaltung unseres Schul- und Ausbildungswesens und unserer Universitäten. Und der globale Wettbewerb zwingt uns zu größeren Anstrengungen in der wissenschaftlichen Forschung.
    Der Erkenntnis notwendiger tiefgreifender Veränderungen steht die Verteidigung bisheriger Besitzstände und Interessen gegenüber, deshalb sind politische Auseinandersetzungen zwangsläufig. Leider verhält es sich so, daß die meisten Politiker ihre Argumente in der Regel auf die jeweilige Legislaturperiode berechnen und deshalb über die nächsten vier (oder fünf) Jahre nicht hinaus denken. Politiker, die den Wählern längerfristige Ziele vortragen, bedürfen großer Überzeugungskraft oder eines besonderen persönlichen Charismas. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es zwei derartige Fälle gegeben, nämlich 1957 die als dauerhaft versprochene »soziale Marktwirtschaft« Ludwig Erhards und 1972 die auf dauerhaften Frieden zielende »neue Ostpolitik« Willy Brandts. Der Wahlerfolg blieb aber beide Male auf eine einzige Bundestagswahl begrenzt.
    Alle bisherige Erfahrung spricht für die Wahrscheinlichkeit, daß in der Regel auch künftig politische Entscheidungen – einschließlich der Entscheidungen der Wähler – nicht unter langfristigen Aspekten getroffen werden, sondern im Blick auf die Erwartungen für die nächsten vier Jahre. Deshalb wird die Anpassung der

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