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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Zentralbank, auf eine künftige gemeinsame europäische Finanzaufsicht – und insgesamt auf unsere Fähigkeit, das Haus der Europäischen Union ökonomisch und sozial und politisch in Ordnung zu halten. Je früher und je besser wir Europäer die Aufgaben im eigenen Hause erledigen, um so mehr kann das Vertrauen in die Stetigkeit unserer Entwicklung wachsen. Wenn aber die Mitgliedsstaaten der EU – einschließlich Deutschlands sich dem notwendigen Strukturwandel verschließen sollten, könnte uns der Raubtierkapitalismus auf den globalen Finanzmärkten in tiefe Mitleidenschaft ziehen.
    Deutschland ist auf den globalen Finanzmärkten besonders großen Risiken ausgesetzt. Denn anders als die anderen großen Volkswirtschaften der Welt und anders als in früheren Jahrzehnten haben wir heute in Deutschland keine einzige große Bank von globaler Reichweite. Während wir zu meiner Amtszeit drei deutsche Großbanken hatten, die berechtigterweise über internationales Ansehen und internationalen Einfluß verfügten, gibt es heute nur noch die Deutsche Bank. Zwar hat sie ihren Sitz offiziell noch in Frankfurt, die Masse ihres Geschäfts wird aber längst schon in London und New York gemacht; sie hat sich selbst globalisiert. Während die Regierungen in den USA, in England, in China und ebenso in Japan oder Rußland davon ausgehen können, daß die großen nationalen Privatbanken im Falle einer Krise den Vorgaben ihrer Regierung folgen, kann die Bundesregierung sich heute nicht mehr auf den Patriotismus von Großbanken stützen.
    Als junger Abgeordneter habe ich in den fünfziger Jahren miterlebt, wie die drei deutschen Großbanken, die nach Kriegsende von den Besatzungsmächten zunächst in regionale Bestandteile zerlegt worden waren, wieder zusammengefügt wurden. Ich hielt das für vernünftig, denn die Finanzierung unserer großen Firmen durfte nicht auf eine Vielzahl von Provinzbanken angewiesen bleiben. Adenauer konnte damals mit Hermann Josef Abs den ersten Mann der Deutschen Bank zu den Londoner Schuldenverhandlungen entsenden und sich auf dessen Urteilskraft, Verhandlungsgeschick und Patriotismus verlassen. Als wir 1975 vor dem ersten Weltwirtschaftsgipfel in Rambouillet standen, habe ich mich an diesen Vorgang erinnert. Die Amerikaner waren gegenüber einem solchen Gipfel recht skeptisch. Ihr Außenminister Henry Kissinger fürchtete, die mit der Vorbereitung zu beauftragenden Bürokraten würden bereits im Vorfeld so viele Hürden errichten, daß am Ende kein brauchbares Ergebnis mehr zu erreichen wäre. Deshalb schlug ich vor, die nationalen Bürokratien zu umgehen und den Gipfel durch persönliche Beauftragte vorbereiten zu lassen. Wir nannten diese Beauftragten scherzhaft »sherpas« (Bergführer), und ich entschied mich für Wilfried Guth, Sprecher der Deutschen Bank.
    Ich habe mich mehrfach an die Deutsche Bank gewandt, wenn ich Rat und Hilfe brauchte. Schon zu Kanzler Brandts Zeiten hatte sich Guths Vorstandskollege F. Wilhelm Christians sehr um den Ausbau des Osthandels und dessen Finanzierung verdient gemacht. Als ein großes Aktienpaket der Daimler-Benz AG in iranische Hände überzugehen drohte (Schah Reza Pahlevi saß noch auf seinem Thron, aber der Umsturz war absehbar und Ayatollah Khomeini im Anmarsch), habe ich die Deutsche Bank gebeten einzugreifen, was sie mit Erfolg getan hat. Einige Zeit später stellte sich heraus, daß die verstreuten Reste der aus Kriegszeiten überkommenen deutschen Luftfahrtindustrie dem Wettbewerb mit den amerikanischen Flugzeugherstellern nicht gewachsen waren. Ich wandte mich abermals an die Deutsche Bank. Alfred Herrhausen, inzwischen Sprecher des Vorstands, übernahm es auf meine Bitte, die Zusammenführung der deutschen Luftfahrtindustrie in die Wege zu leiten. Dies ist ihm bis zu seiner Ermordung durch die RAF nicht gelungen; erst später gelang der Aufstieg der Deutschen Airbus GmbH.
    Ich erwähne diese Beispiele, weil sie zeigen, daß es eine deutsche Großbank gab, die ihr Geschäft weltweit betrieb und weltweites Ansehen genoß, der es gleichwohl aber selbstverständlich war, im deutschen Interesse Anregungen und sogar Aufträge der eigenen Regierung entgegenzunehmen. Und die Regierung konnte sich ohne Bedenken an den Vorstand der Deutschen Bank wenden. Heute steht die deutsche Volkswirtschaft an der dritten Stelle der Welt und ist sehr viel stärker in die Weltwirtschaft verflochten als jemals zuvor. Die Modernisierung unseres zerklüfte ten Bankensystems aber

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