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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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unterstellen. Das bedeutet zugleich, daß die Last der Steuern und Abgaben insgesamt nicht prinzipiell gemindert werden wird. Wer etwas anderes verspricht, täuscht sich selbst – oder er ist ein Lügner. Tatsächlich kann es in der politischen Auseinandersetzung im Prinzip kaum noch um die Höhe der Staatsquote gehen, sondern nur um die gerechte Verteilung der Lasten und der Wohltaten. Unsere hohe Staatsquote ist und bleibt zwangsläufig ein Kind der vom Volk gewollten und getragenen sozialen Demokratie, wenngleich ein nicht sonderlich geliebtes Kind.
    Diese Tatsache festzustellen bedeutet nicht zwangsläufig, daß es auch bei dem heutigen Umfang staatlicher Überregulierungen bleiben muß. Im Gegenteil: Eine erhebliche Vereinfachung unseres überkomplizierten Paragraphengeflechtes ist ohne Qualitätsverluste durchaus möglich – und die Mehrheit der Bevölkerung würde erleichtert aufatmen. Allerdings wurde bereits unter der Kohl-Regierung die Forderung nach einem »schlanken Staat« erfolgreich unterlaufen, der Versuch zur Beseitigung oder Vereinfachung komplizierter Vorschriften scheiterte an vielerlei Einzelinteressen. Der enorme Einfluß mächtiger Interessengruppen auf die Staatspraxis wird durch die pauschale Gesetzgebungspraxis des Bundestages technisch erleichtert. Das Nähere bestimmt der Bundesminister X oder Y durch Rechtsverordnung, lautet die Standardformulierung, die dem Lobbyismus Tür und Tor öffnet.
    So heißt es zum Beispiel im Einkommensteuergesetz § 51, Absatz 1: »Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung dieses Gesetzes Rechtsverordnungen zu erlassen, soweit dies zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung, zur Beseitigung von Unbilligkeiten in Härtefällen, zur Steuerfreistellung des Existenzminimums oder zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens erforderlich ist.« Derartige Ermächtigungen, höchst sensible Probleme auf dem Wege der bloßen Verordnung zu lösen, geben nicht nur der Bürokratie des Bundes und zumeist auch der Bürokratie der 16 Bundesländer eine große Macht, die von den Parlamenten nur unzureichend kontrolliert werden kann, sondern rufen zwangsläufig auch die Lobbyisten auf den Plan. Denn die verschiedenen Interessengruppen, Verbände aller Art und Gewerkschaften sind mit ihrem Fachwissen und ihrem Einflußschon längst tief in die Bürokratien vorgedrungen. Die pauschalen Ermächtigungen der staatlichen Bürokratie durch den Gesetzgeber sind von Übel.
    Der Bundestag sollte diese Gesetzgebungspraxis einschränken. Je mehr der Gesetzgeber sich selbst die detaillierte Ausgestaltung eines Gesetzes vorbehält, desto eher läßt sich die Flut von Regelungen mindern. Die lobenswerte Absicht, wuchernde staatliche Bürokratie abzubauen, bleibt bloße Rhetorik, solange der Gesetzgeber seine bisherige Praxis fortsetzt, die Bürokratie am laufenden Band zum Erlaß von Verordnungen zu bevollmächtigen. Aber auch der Gesetzgeber selbst – das heißt vornehmlich die Abgeordneten des Bundestages! –muß sich zügeln. Denn in zunehmendem Maße läßt sich der Bundestag zur gesetzgeberischen Eile verleiten; und auf dem Umweg über den Bundesrat, von dessen Zustimmung zwei Drittel aller Gesetze abhängen, läßt er sich zu Detailregelungen verführen, die allzuoft aus der Feder von Lobbyisten stammen, denen es gelingt, sich Bürokratien und Politiker der Bundesländer vorzuspannen. Ebenso schädlich ist die Mitwirkung der internationalen Lobbyisten und der nationalen Bürokratien einschließlich der Fachminister des Bundes bei der uferlosen Richtliniengebung durch die Brüsseler Kommission der EU.
    Zwar ist die Vertretung eigener Interessen verfassungsrechtlich statthaft, sie ist auch moralisch nicht verwerflich. Aber manche Verbände sowie einige große industrielle Unternehmen und Medienkonzerne haben aufgrund ihrer Macht und ihres Einflusses zuviel politisches Gewicht erlangt. Dazu kommen die korrupten Methoden mancher Lobbyisten. Außerdem gefährden die unangemessene Selbstbereicherung einiger Manager und einige Skandale (wie Neue Heimat, Mannesmann, Balsam, Volkswagen oder auch die Steuer-Oase Liechtenstein) das öffentliche Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft. Solche unerfreulichen Begleiterscheinungen sind Teil einer auf privatem Eigentum und privater Initiative gegründeten Marktwirtschaft. Unter einer diktatorischen Regierungsform und in einer Zwangswirtschaft sind Exzesse der Selbstbereicherung mindestens

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