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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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haben wir weitgehend verschlafen. Wir haben eine der höchsten Sparraten in der Welt, doch über die Verwendung unserer Kapitalbildung wird weitgehend in ausländischen Finanzmetropolen disponiert. Auch die einst beispielhafte Deutsche Bank ähnelt inzwischen immer mehr einem im wesentlichen auf internationale Spekulationen spezialisierten Investmenthaus in New York oder London. In welcher Frage kann die Regierung sich heute an deren Vorstand wenden? An welche andere Bank kann eine deutsche Regierung, kann eine Opposition, kann die politische Klasse insgesamt sich ratsuchend wenden, wenn sie selbst ökonomisch ratlos ist? Nicht ohne Bitterkeit konstatiere ich, daß diese Frage heute ohne Antwort bleiben muß.
    Daß die drei ehemaligen deutschen Großbanken im internationalen Vergleich zurückgefallen sind, ist nicht etwa Folge eines politischen oder gesetzgeberischen Eingriffs, sondern Folge unzureichender Weitsicht ihrer Vorstände und Aufsichtsräte. Die deutschen Banken insgesamt haben den in Deutschland notwendigen Konzentrationsprozeß verschlafen. Zugleich haben aber auch die Bundesregierungen und ebenso der Bundestag in den letzten 25 Jahren die Augen verschlossen vor dem zunehmenden Risiko der wachsenden Abhängigkeit unseres gewerblichen Mittelstands und unserer Industrien von den großen privaten Finanzinstituten im Ausland. Ohne daß es unserer politischen Klasse bewußt ist, finden sich nicht nur unsere größeren Unternehmen, sondern auch mittelständische Firmen in zunehmendem Maße Entscheidungen ausgesetzt, die an ausländischen Finanzplätzen getroffen werden. Damit sind sie zugleich auch der unmoralischen und ekelhaften Habgier der global agierenden Finanzmanager ausgeliefert. Mit Recht hat Alan Greenspan von »infectious greed« gesprochen – von ansteckender Habgier.
    Aus dem aggressiven Gebaren des Raubtierkapitalismus auf den globalen Finanzmärkten ergeben sich für uns Deutsche zwei strukturpolitische Aufgaben. Zum einen gebietet es das deutsche Interesse, im Rahmen der EU, bei den Weltwirtschaftsgipfeln und in den Gremien des Weltwährungsfonds (IMF) für wirksame transnationale Finanzaufsicht und Transparenz einzutreten und für die Austrocknung der teilweise steuerfreien Inseln, die keiner Aufsicht unterstehen. Ein deutscher Alleingang wäre freilich wenig aussichtsreich, zumal die politische Klasse der USA davon ausgeht, daß eine Neuordnung der globalen Finanzmärkte nicht im amerikanischen Interesse liege. Die amerikanische Volkswirtschaft ist immerhin fünfmal so groß wie diejenige Deutschlands und New York das wichtigste und mächtigste Finanzzentrum der Welt. Eine gemeinsame Initiative der Europäischen Union oder der an der Euro-Zone beteiligten Staaten hingegen wäre nicht ohne Erfolgschancen. Als Mitte der siebziger Jahre infolge einer Weltrezession und wegen der Gefahr einer Weltdepression eine Initiative zur weltweiten finanzwirtschaftlichen Kooperation erforderlich war, ging sie gemeinsam von Frankreich und Deutschland aus. Inzwischen ist der Euro als eine Weltwährung neben den Dollar getreten, und eine von der Euro-Zone ausgehende Initiative hätte politisch erhebliches Gewicht. Wegen der selbstverschuldeten Handlungsunfähigkeit des Europäischen Rates ist die EU zur Zeit leider zu solch einer weltweiten Initiative kaum fähig. Der unbefriedigende Zustand des globalen Finanzmarktes ist ein zusätzlicher Grund, die EU wieder handlungsfähig zu machen.
    Zum anderen ist es im deutschen Interesse erforderlich, im eigenen Land den Konzentrationsprozeß innerhalb unseres traditionell zerklüfteten Gefüges kleiner öffentlich-rechtlicher, genossenschaftlicher und privater Bankinstitute voranzutreiben. Bisher steht der notwendigen Konzentration der kommunale und ideologische Eigensinn in den Verwaltungs- und Aufsichtsräten entgegen, dazu der partikularistische Egoismus der Bundesländer. Selbst kleine und kleinste Institute streben danach, sich eigenständig zu Universalbanken zu entwickeln. Unsere sehr soliden Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Hypothekenbanken sind in der Regel zu klein und zu unbedeutend, um verhin dern zu können, daß ein ausländischer Fonds in großem Stil ganze Unternehmen oder ganze Wohnblocks aufkauft, um sie anschließend zu versilbern. Die Verbände, die Aufsichtsgremien und Vorstände unserer öffentlich-rechtlichen Sparkassen und Landesbanken sowie der Volks- und Genossenschaftsbanken müssen dazu gedrängt werden, sich im nationalen Interesse zu

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