Ausser Dienst - Eine Bilanz
sorgen für entsprechende Stimmungsmache. Deshalb bleibt die Erhaltung eines unabhängigen Journalismus, besonders auch die Erhaltung unabhängiger Fernsehanstalten, von vitalem Interesse für unsere Demokratie.
Die journalistische Klasse ist nicht nur für die Berichterstattung über Ereignisse, Personen und Entwicklungen verantwortlich, sondern auch für deren kritische Analyse und Bewertung. Auf den Gebieten der Wirtschaft und der Finanzmärkte sind Analyse und eigenes Urteil deutlich schwieriger als auf dem Gebiet der inneren und äußeren Politik oder des Feuilletons. Deshalb sind erstklassige ökonomische Journalisten relativ rar. Manche werden aus den Redaktionen heraus von einem Konzern oder einem Verband mit höherem Gehalt für Managementaufgaben abgeworben. Ein kritischer und gut verständlicher Wirtschaftsjournalismus bleibt eine dringende Notwendigkeit. Denn von der journalistischen Klasse insgesamt gehen wichtige Einflüsse sowohl auf die öffentliche Meinung als auch auf die geistige und moralische Führung der Nation aus. Die Journalisten insgesamt stehen den Kirchen, den Schulen und Universitäten in ihrem Einfluß kaum nach. Deshalb wäre es schlecht, wenn der unabhängige Journalismus durch große Konzerne oder Verbände zurückgedrängt werden sollte.
Über die dem Grundgesetz zugrunde liegenden Grundwerte sind sich die Deutschen weitgehend einig: die Würde des Menschen, das demokratische Prinzip, das Prinzip des Rechtsstaates und das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Daß über die konkrete Gestaltung im einzelnen immer gestritten wird und gestritten werden muß, macht die Substanz und das Wesen demokratischer Politik aus. Deshalb führt das aus der deutschen Geschichte überlieferte Wort in die Irre, das da sagt: »Politisch Lied, ein garstig Lied«. Eine demokratische Debatte kann in der Tat garstig, stillos und unanständig verlaufen. Aber es wäre ein Irrtum, schlimmer noch: ein Fehler, die Demokratie zum reinen Ideal zu erheben. Demokratie bleibt menschlich – oft allzu menschlich.
Seit Montesquieu hat sich in den demokratisch verfaßten Staaten das Prinzip der Gewaltenteilung durchgesetzt: Legislative, Exekutive und Judikative sollen getrennt und unabhängig voneinander sein. Allerdings gibt es in der Staatspraxis vielerlei Überschneidungen und Abweichungen. So wird zum Beispiel in einer parlamentarischen Demokratie der Chef der Exekutive (der Ministerpräsident oder Bundeskanzler) von der Legislative (Bundestag) gewählt, der er in der Regel selbst angehört; die obersten Richter werden meist durch die Legislative oder die Exekutive bestellt. Mir kommt es an dieser Stelle darauf an, die hohe Bedeutung des Prinzips der Durchsichtigkeit staatlichen Handelns hervorzuheben. Denn ohne Transparenz haben Wahlen (oder auch Volksentscheide) keinen Sinn. Das Prinzip der Gewaltenteilung allein reicht nicht aus, vielmehr müssen in der Demokratie alle drei Gewalten dem Prinzip der Transparenz unterworfen sein. Das ihm zustehende Grundrecht der Meinungsfreiheit wäre für den Bürger nicht viel wert, wenn sein Prozeß vor einem Gericht im geheimen verhandelt würde, wenn sein Parlament unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen und beschließen oder seine Regierung mit Hilfe geheimer Dekrete und geheim operierender Organe handeln würde.
Aber auch ohne eine unabhängig von den drei Gewalten sich bildende öffentliche Meinung wäre Demokratie nicht möglich. Dabei kann die öffentliche Meinung nur äußerst selten mit ein und derselben Zunge sprechen. Vielmehr ist Meinungsvielfalt die Regel, Einmütigkeit bleibt die Ausnahme. Eine Vielfalt an Meinungen und Urteilen – auch an Vorurteilen – ist geradezu ein Kennzeichen der Demokratie. Es liegt in der Natur des Menschen, daß politische Parteien, wirtschaftliche Unternehmungen, ganze Wirtschaftszweige und Verbände, Gewerkschaften, einzelne Berufsstände, Kirchen und Religionsgemeinschaften versuchen, die öffentliche Meinung durch einseitige Information, durch parteiische Argumente, auch durch Ängste, Drohungen und Versprechungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Für diese Zwecke haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ganze Gewerbezweige herausgebildet, Werbeunternehmen und Public-Relations-Agenturen, die den Interessengruppen ihre Dienste anbieten. Seit die Massenmedien – Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet – zunehmend in privaten, zum Teil multinationalen Konzernen zusammengefaßt sind, wächst die Gefahr, daß die öffentliche
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