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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Meinung und damit die wählenden Bürger in einseitiger, den jeweiligen Zwecken der Konzerne dienender Weise manipuliert werden.
    Ein unabhängiger Journalismus fördert nicht nur den demokratischen Meinungsbildungsprozeß, er sorgt auch für die nötige Transparenz der politischen Entscheidungen. Die Öffentlichkeit staatlichen Handelns ist eine unabdingbare Voraussetzung für die öffentliche Meinung. Ohne diese Grundregel ist Demokratie nicht möglich. Allerdings muß es Ausnahmen geben. Wenn der Staat zum Beispiel vor schwierigen Verhandlungen mit einem anderen Staat steht, wäre es unsinnig, die Bereitschaft zu Zugeständnissen zu früh öffentlich zu machen. Es wäre zweckwidrig, einen vermuteten Spion durch uniformierte Polizeibeamte beschatten zu lassen; vielmehr benötigt man dafür eine verdeckt ermittelnde spezielle Polizei oder einen Geheimdienst. Gleiches gilt für die Beobachtung einer terroristischen oder einer verfassungsfeindlichen Gruppe oder Organisation.
    Schon diese wenigen Beispiele für legitime Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip sind zugleich Beispiele dafür, wie schnell von diesen Ausnahmen Gefahren für die Demokratie ausgehen können. Ein Auslandsgeheimdienst oder eine im Inland verdeckt tätige Verfassungsschutzbehörde sind vom zuständigen Parlament – Bundestag oder Landtag – und von der Regierung nur schwer zu kontrollieren. Weil aber den Angehörigen solcher Behörden kaum je eine öffentliche Anerkennung zuteil wird, entwickeln manche der dort tätigen Personen psychische Komplexe. Die einen bilden sich ein, sie verstünden die Gefahren für das Wohl ihres Staates besser als Regierung und Parlament; andere mißtrauen Personen der eigenen Regierung und bespitzeln sie sogar. Dergleichen hat es in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik insbesondere beim Bundesnachrichtendienst und seinem Vorläufer gegeben. Deshalb habe ich – auch als Bundesminister und Kanzler – persönlich immer sorgfältig Abstand gegenüber dem BND gehalten. Inzwischen hat die ganze Welt miterleben können, wie in den USA mit »Erkenntnissen« der CIA über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak und angebliche atomare Bewaffnungsabsichten im Iran die öffentliche Meinung irregeführt wurde. Je mehr geheime Behörden ein Staat unterhält und je größer deren Personalumfang, desto schwieriger wird die politische Kontrolle. Wo aber die politische Kontrolle durch Parlament und Regierung versagt, entsteht die Gefahr eigenmächtigen Handelns durch die Geheimdienste.
    Ebenso gefährlich kann es werden, wenn eine effiziente politische Kontrolle über das Militär ausbleibt. In Deutschland hat es von Bismarcks Zeiten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs an einer ausreichend wirksamen politischen Kontrolle über die bewaffneten Streitkräfte stets gefehlt. Auch von 1919 bis 1933 konnte sich die Reichswehr, die damals pro forma dem Oberbefehl des parlamentarisch nicht verantwortlichen Reichspräsidenten unterstand, der politischen Kontrolle weitgehend entziehen; man hat sie nicht zu Unrecht als »Staat im Staate« bezeichnet. 1934, nach dem Tod Hindenburgs, hat sich die Reichswehr bedingungslos der politischen Befehlsgewalt Hitlers unterworfen.
    Als Adenauer in den frühen fünfziger Jahren mit dem Aufbau von Streitkräften begann, bestand zunächst abermals die Gefahr, daß die künftige Bundeswehr der parlamentarischen Kontrolle weitgehend entzogen bleiben könnte. Die 1956 vom Bundestag dem Kanzler aufgezwungene Ergänzung des Grundgesetzes (Artikel 65a und 87a) und die damit einhergehende Wehrgesetzgebung haben das verhindert. Gleichwohl blieb noch in den sechziger Jahren die parlamentarische Kontrolle de facto unzureichend. Heute und auf absehbare Zukunft erscheint die Bundeswehr insgesamt als ausreichend durchsichtig. Der Geist des Offizierkorps der Bundeswehr ist heute eindeutig demokratisch-parlamentarisch geprägt. Unter dem Maßstab der Verfassungstreue erscheint mir die heutige Bundeswehr als die beste Armee, die es bisher in Deutschland gegeben hat. Gleichwohl bleibt auch künftig die kontinuierliche Aufrechterhaltung politischer und parlamentarischer Kontrolle notwendig.
    Nicht nur die Geheimdienste und die Bundeswehr, alle staatlichen Bürokratien einschließlich der Polizeien bedürfen publizistisch-politischer und parlamentarischer Kontrolle. Wo die Geheimstempel-Sucht grassiert, wo Transparenz verhindert wird, entsteht die Gefahr von Fehlentwicklungen und Mißbrauch. Die sogenannte

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