Ausser Dienst - Eine Bilanz
mehreren Fällen mit eigenen Streitkräften daran beteiligt. Wir haben uns aber auch an einer eindeutig völkerrechtswidrigen internationalen Intervention in Bosnien und im Kosovo beteiligt. Es ist zu erkennen – und für die Zukunft zu unterstellen–, daß bei dergleichen Interventionen, auch wenn ihnen Beschlüsse des Sicherheitsrates zugrunde liegen, keineswegs allein moralisch-humanitäre Motive, sondern ebenso nationale Machtinteressen und das globale Sendungsbewußtsein Amerikas eine Rolle spielen.
Auch eine Nichtbeteiligung kann im eigenen nationalen Interesse liegen. Im Gegensatz zu den langwierigen und tiefgreifenden verteidigungspolitischen und strategischen Debatten, die wir in früheren Jahrzehnten sowohl im Bundestag als auch in den Medien erlebt haben, hat es nach 1990 keine wirklich breite Diskussion über die grundlegenden Prinzipien gegeben, die für deutsche Interventionsbeteiligungen gelten sollten. Während des Kalten Krieges war die Verteidigung des eigenen Landes der einzige Auftrag unserer Soldaten. Der Auftrag leuchtete den meisten Deutschen ein und hat sie in zunehmendem Maße überzeugt. Wenn dagegen heutzutage deutsche Politiker in unscharfer Weise deutsche Interventionsbeteiligungen und den Einsatz deutscher Truppen in fremden Erdteilen damit begründen, daß Deutschland »Verantwortung übernehmen« müsse, und es überdies weiterhin keine einleuchtende und eindeutige Definition der heutigen Aufgaben der Bundeswehr gibt, kann daraus manches Unheil erwachsen – außenpolitisch wie innenpolitisch. Außenpolitisch könnten wir uns ohne Not in allzu viele fremde Konflikte verwickeln. Innenpolitisch könnte, falls unsere Soldaten unversehens in verlustreiche Kämpfe verwickelt werden, das Vertrauen in Sinn und Zweck des Verteidigungsauftrags der Bundeswehr schwinden. Wenn die Beteiligung an humanitären militärischen Interventionen tatsächlich zur Hauptaufgabe der Bundeswehr werden soll, dann wäre eine weitreichende Umgestaltung unserer bereits heute beinahe überforderten Streitkräfte geboten. Sie müßte Erziehung, Ausbildung und Ausrüstung der Truppe umfassen (und die heutige Wehrpflichtdauer bei selektiver Einberufungspraxis wäre kaum noch zu rechtfertigen). Aber auch sofern wir im Gegensatz dazu bescheiden bleiben wollen – wofür ich eintrete–, wird eine grundlegende Erörterung der künftigen Aufgaben der Bundeswehr und deren klare Definition notwendig.
Wir dürfen in dieser Debatte weder unsere Bindung an die Charta der UN noch die Einschränkung der Verwendung unserer Streitkräfte durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag, weder den Vertrag über die Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) noch das kardinale völkerrechtliche Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten aus dem Bewußtsein verlieren. Die transnationalen terroristischen Gefahren rechtfertigen auch in Zukunft keinen deutschen Verstoßgegen das Völkerrecht. Der islamistische Terrorismus kann mit militärischen Mitteln kaum wirksam beendet werden, viel eher ist auf eine Austrocknung durch respektvollen, klugen Umgang mit den islamischen Völkern und Staaten zu hoffen. Deutschland hat daran ein großes Interesse, wir können dabei eine positive Rolle spielen. Daraus mag sich eine Divergenz mit den USA ergeben; immerhin stünde ihr wahrscheinlich die Übereinstimmung mit Frankreich, England, Italien, Spanien, Holland und weiteren europäischen Staaten gegenüber. Eine gemeinsame Haltung der Europäischen Union muß nicht unmöglich sein.
Amerika bleibt Führungsmacht des Westens
An dieser Stelle möchte ich, um einer Mißdeutung vorzubeugen, einige grundsätzliche Bemerkungen über das deutsch-amerikanische Verhältnis einfügen. Während ich an diesem Manuskript schreibe, findet sich die amerikanische Nation in einer tiefgreifenden Krise des Vertrauens in ihre gegenwärtige Regierung. Ich bin überzeugt, daß die Nation diese Vertrauenskrise mitsamt ihren innen- und außenpolitischen Verwerfungen überwinden wird. Das mag Zeit kosten. Seit Weltgeschichte geschrieben wird, hat es keine Macht gegeben, die nicht Fehler gemacht hätte. Amerika ist keine Ausnahme. Und so wie keiner den Ägyptern und Chinesen, den Griechen und Römern wegen der dunklen Flecken in ihrer Geschichte Bewunderung und Respekt versagt, so wird gewiß niemand nur wegen der Fehlleistungen der Administration Bush jun. der amerikanischen Nation seine Bewunderung und Zuneigung
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