Ausser Dienst - Eine Bilanz
entziehen. Ganz besonders wir Deutschen erinnern uns dankbar der Befreiung von Hitlers zerstörerischer Herrschaft durch Amerika. Wir erinnern uns der vielen Hilfen, die wir nach 1945 von den USA erhalten haben. Wir Deutschen werden auch die entscheidende Hilfe Amerikas nicht vergessen, als es 1990 um die Wiedervereinigung Deutschlands ging.
Seit 1950 bin ich an die hundertmal zu Besuchen und Verhandlungen in den USA gewesen. Ich glaube Amerika ganz gut zu kennen. Ich bin beeindruckt von der Großzügigkeit, von den demokratischen Instinkten, von dem inneren demokratischpolitischen Kompaß der Amerikaner – und von ihrer Vitalität. Aufgrund vieler Reisen in andere Weltgegenden weiß ich, daß eine große Mehrheit überall in Europa und auch in Rußland, auch in China, ähnlich über Amerika denkt. Viele Staaten lehnen sich deshalb an die USA an, andere scheuen deshalb einen Konflikt mit ihnen. Zwar haben alle Staaten der Welt von Zeit zu Zeit auch Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikte mit den USA – manchmal gilt das sogar für Großbritannien. Aber solche Konflikte haben die Europäer bisher nicht ihre kulturelle Verwandtschaft und Nähe zu Amerika vergessen lassen. Ich erwarte deshalb auch für die Zukunft die Aufrechterhaltung der transatlantischen Bindungen.
Gleichwohl sind auch künftig Interessenkonflikte mit den USA zu erwarten. Einen dieser Konflikte, auf den ich oben bereits kurz eingegangen bin, möchte ich hier ausdrücklich hervorheben, nämlich die gegenläufigen Interessen bei der Verwirklichung der Nichtverbreitung atomarer Waffen im Sinne des Atomwaffensperrvertrages (NPT). Auf der einen Seite stehen die fünf klassischen Atomwaffenstaaten, auf der anderen Seite alle diejenigen, die im NPT auf Atomwaffen verzichtet haben. Die Verzichtstaaten haben einen vertraglichen Anspruch darauf, daß die fünf Atomwaffenstaaten ihre atomaren Waffenarsenale abrüsten. Der NPT schreibt im Artikel VI den fünf Atomwaffenstaaten vor, »in redlicher Absicht in naher Zukunft Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des atomaren Wettrüstens und zur nuklearen Abrüstung«.
Am stärksten verstoßen die USA und Rußland gegen ihre seit 1968 geltende vertragliche Pflicht, in geringerem Ausmaß auch China, Frankreich und England. Alle fünf haben ihre Pflicht zur atomaren Abrüstung stillschweigend ad acta gelegt. Die USA und Rußland haben zwar die Zahl ihrer einsatzfähigen atomaren Waffen reduziert, nachdem sie dieselben zunächst noch vermehrt hatten. Aber immer noch verfügt jeder von ihnen über viele tausend atomare Sprengköpfe. Zugleich haben sie die Leistungsfähigkeit ihrer Trägerwaffen ausgebaut. Die USA haben sogar den Vertrag über Anti-Raketen (Anti-Ballistic Missiles, ABM) gekündigt, um frei zu sein für die Installation von Systemen, die fremde Trägerwaffen mitsamt ihrer Sprengköpfe im Flug vernichten sollen. Wenn die USA derartige ABM-Systeme nahe an den russischen Grenzen installieren, in Polen und Tschechien, erzeugen sie zwangsläufig Spannungen mit Rußland und provozieren auf dem Feld atomarer Kriegführung einen zusätzlichen technologischen Rüstungswettlauf. An beidem können die europäischen NATO-Partner kein Interesse haben, am wenigsten Deutschland. Die politische Klasse in den USA verfolgt auf dem Gebiet der atomaren Waffen eine in ihrer Zielsetzung undeutlich gebliebene Politik. Tatsächlich scheint es ihr um absolute Überlegenheit über alle anderen Staaten zu gehen. Die russische Führung versucht mit geringeren wirtschaftlichen Mitteln, quasi mit hängender Zunge, Schritt zu halten.
Da die fünf seit 1968 privilegierten Atommächte ihre Abrüstungsverpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag nicht erfüllt haben, sondern im Gegenteil ihr atomares Potential samt Trägerwaffen technologisch ständig modernisieren und vervollkommnen, haben weitere Staaten sich atomar gerüstet. Die fünf ursprünglichen Atommächte haben die atomare Bewaffnung Israels, Indiens und Pakistans hinnehmen müssen, zumal alle drei dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten waren. Hingegen haben die USA die Kündigung des NPT durch Nordkorea mit Sanktionen und Drohungen beantwortet; desgleichen drohen sie dem Iran, dem die Absicht zur atomaren Bewaffnung unterstellt wird, obgleich Teheran den NPT bisher nicht gekündigt hat und daher dessen institutionellen Kontrollen unterliegt. Wie auch immer der Streit mit Nordkorea und dem Iran ausgeht, in jedem Fall muß man
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