Ausser Dienst - Eine Bilanz
Milliarden Euro, das entspricht etwa 4 Prozent des deutschen Sozialprodukts. Dieser Transfer hat einerseits eine durchgreifende Modernisierung der Infrastruktur im Osten bewirkt, andererseits fließt er weitgehend in den staatlichen und vor allem in den privaten Verbrauch. Weder die Regierungen Kohl und Schröder noch die Regierung Merkel haben den ernsthaften Versuch unternommen, die Wirtschaftstätigkeit in den östlichen Teilen Deutschlands bevorzugt zu fördern. Falls es bei dieser Tatenlosigkeit bleiben sollte, könnten jene Schätzungen sich als zutreffend erweisen, die mit vierzig weiteren Jahren Aufholprozeß im Osten rechnen. Das bisherige Tempo dieses Prozesses ist an zwei Zahlen abzulesen: Im Jahr 1995 betrug das Sozialprodukt pro Kopf in den sechs ostdeutschen Ländern im Durchschnitt nur 60 Prozent des in den westdeutschen Ländern erzielten Sozialprodukts; im Jahr 2005, zehn Jahre später, waren es auch nur 67 Prozent.
Rezepte zur Beschleunigung des Aufholprozesses liegen seit Jahren vor, auch ich habe mich mit einigen Vorschlägen zu Wort gemeldet (einige erschienen 2005 in dem Aufsatzband »Auf dem Weg zur deutschen Einheit«). Bisher sind alle Anregungen am Egoismus der westdeutschen Mehrheit gescheitert – besonders am Egoismus der westdeutschen Landesregierungen, die eine einseitige Förderung des Ostens nicht zulassen wollen. Deshalb ist es bisher bei den (entscheidend vom Bund aufgebrachten) finanziellen Hilfen geblieben. Wenn es auch in Zukunft dabei bleiben sollte, kann der permanente finanzielle Aderlaß von jährlich 4 Prozent des Sozialprodukts ein dauerhaftes Zurückbleiben der wirtschaftlichen Wachstumsraten in Deutschland hinter denen anderer Staaten Westeuropas bewirken, denn es handelt sich um einen gewaltigen Batzen (zum Vergleich: Der riesige US-Verteidigungshaushalt entspricht auch »nur« 4 Prozent des amerikanischen Sozialprodukts).
Noch wichtiger als die Konsequenzen des großen Finanztransfers sind aber die psychologischen und die politischen Folgen, die der anhaltende Stillstand des ostdeutschen Aufholprozesses auslösen kann. Die anhaltende Abwanderung junger Leute und der in den östlichen Bundesländern sich wiederholende Wahlerfolg der postkommunistischen und der rechtsradikalen Parteien sind beunruhigend.
Als einige Freunde und ich im Jahre 1993 in Weimar unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten die Deutsche Nationalstiftung gegründet haben, war uns bewußt, daß das Zusammenwachsen von Ost und West ein schwieriger Prozeß werden würde. Schon auf der ersten Jahrestagung der Stiftung 1994 haben wir uns mit der Lage der Nation beschäftigt; im Laufe der Jahre haben wir dann viele Male die Probleme des deutschen Ostens thematisiert. Zur Jahrestagung 2003 haben wir eine Publikation vorgelegt, die sich mit der Rolle Berlins als deutscher Hauptstadt beschäftigt: »Berlin – Was ist uns die Hauptstadt wert?« Inzwischen hat der Hauptstadtvertrag des Jahres 2007, der dritte seit 1992, geregelt, daß der Bund dem Land Berlin bis zum Jahre 2017 statt bisher jährlich 38 Millionen Euro künftig etwa 60 Millionen Euro für sogenannte hauptstadtbedingte Sicherheitsausgaben zur Verfügung stellt. Es ist jedoch nicht gelungen, Klarheit in der Hauptstadtfinanzierung zu erzielen. Denn neben dem Hauptstadtvertrag finanziert der Bund im Rahmen eines Hauptstadtkulturvertrages jährlich rund 430 Millionen Euro für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und für andere kulturelle Einrichtungen in Berlin. Außerdem zahlt der Bund einmalig 200 Millionen Euro für die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden, er finanziert die im Bau befindliche sogenannte Kanzler-U-Bahn vom Hauptbahnhof durchs Regierungsviertel zum Alexanderplatz, den Straßenbau im Regierungsviertel sowie die Sanierung der Museumsinsel und des Schlosses Charlottenburg. Und neben seiner Beteiligung am Flughafen Tempelhof wird der Bund auch für den Bau des Berliner Stadtschlosses rund 552 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt beisteuern. Aber über diese vielen finanziellen Einzelregelungen zugunsten der Hauptstadt weit hinaus ist die Stadt Berlin das herausragende Empfängerland von Finanzzuweisungen im Rahmen der zahlreichen bundesgesetzlichen Finanzausgleichssysteme. Weil die Millionenstadt vorhersehbar noch über lange Jahre in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung hinter den westdeutschen Großstädten zurückbleiben wird, gehört die Finanzierung Berlins auch weiterhin zu den ungelösten Aufgaben des
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