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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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zutiefst beschämend. Und ich, habe ich gedacht, was ist mit mir? Ich bin doch auch noch da. Alles dreht sich immer nur um dich, dich, dich. Und was habe ich davon? Was gibst du mir zurück? Ein Lächeln? Das reicht nicht, bei Weitem nicht. Du zwingst mich, dem Menschen wehzutun, den ich so zärtlich, so sanft und liebevoll behandeln will wie niemanden sonst. Ich verstehe nicht. Ich bin es, die nicht versteht.
    Andere halten das doch auch aus, andere können sich doch auch beherrschen. Warum kann ich nicht zufrieden sein mit diesem schmalen Leben, das immerhin noch neben mir auf dem Sofa sitzt. Froh und dankbar sein. Begeistert vom Glück erzählen, das sein flüchtiges Lächeln mir schenkt. Ein Lächeln, das entschädigt für Verzweiflung und Mühe. Wer macht es umsonst? Geben und nehmen. Die innere Bilanz muss einigermaßen stimmen. Man muss sich ein Gleichgewicht einbilden können.
    Unablässig auf der Suche nach verschollenen Schätzen. Nicht nur ein Lächeln,
sein
Lächeln. Nicht nur ein Rümpfen der Nase, ein Hochziehen der Augenbraue,
seine
Mimik suche ich unter all dem Unerklärlichen, Beängstigenden, Fremden. Laute, die wie
seine
Stimme klingen. Und finde ich auch nur ein Bruchstück, einen winzigen Splitter seines selbstvergessenen Wesens, tatsächlich, könnte ich schreien vor Glück. Und in die vor Glück weit offene Brust hinein greift diese Hand, die von nirgendwo kommt, greift in die Brust und schließt die Finger fest um das Organ, das ja nur ein Muskel ist. Zieht und zerrt und trennt es heraus, das Herz, bei lebendigem Leib. Ein unvorstellbarer Schmerz, eine unvorstellbare Wut, immer wieder, immer noch.
    Bastian, es tut mir leid!
    Ich wollte dich noch fragen.
    Darf dies je ein Zustand sein? Würdest du das wollen? So schmal und eng tagein, tagaus auf dem Sofa sitzen. Wo du doch früher mir in die Augen geschaut hast, zärtlich oder ärgerlich, verständnisvoll oder erstaunt. Dich mir zugewandt, zugehört hast. Liebe gemacht, wir gestritten haben, du traurig oder trotzig warst, verletzt. Wir uns immer wieder gefangen haben, uns gefangen genommen haben, gegenseitig.
    Wo du früher gezeichnet, Häuser gebaut, Bücher gelesen, komplizierte statische Probleme gelöst hast. Und heutzutage ein Lallen oder Lächeln für andere Glück bedeutet. Ob nicht vielmehr bodenlose Trauer angemessen wäre, angesichts der verloren gegangenen Begabungen. Angesichts des von allen guten Geistern verlassenen Geschöpfs, das auf dem Sofa sitzt und einzig seiner intakten vegetativen Vorgänge und Funktionen wegen noch Mensch genannt wird. Respekt? Vor dem Verdauungsvorgang? Vor dem Schlagen des Herzens? Wo es jeden Tag schwerer fällt, sich an das begeisterte Funkeln deiner Augen zu erinnern.
    An dich.
    Ach du, ach du, Bastian! Was machen wir denn jetzt?
    Lange saß ich da, Hände im Schoß. Kompliziert ist dieses körperliche Gefüge, Knochen, Muskeln, Sehnen, Nervenbahnen. Eine Harmonie auf Messers Schneide. Ich merkte, wie mein Oberkörper schaukelte, vor und zurück. Hin und her. Vor und zurück. Das fühlte sich gut an. Auf eine neue Weise fiebrig. So eine wiederkehrende, sanfte Bewegung. Es beruhigte mich und regte mich zugleich auf.
    Ich dachte nicht mehr an morgen. Was sein würde, morgen oder in hundert Tagen. Es war egal. Es war egal, ob es in der Wohnung stank. Lüften wäre verlorene Liebesmüh. Ich sollte mal wieder mein Herz ausschütteln. Kopfkissen ausschütteln. Schuppen, Schweiß, Luft ranlassen. Auskehr. Alles, alles raus, auf die linke Seite kehren, umstülpen. Verlorene Liebesmüh – es ist ja gar niemand da. Es heißt doch, jemandem das Herz ausschütten. Nicht niemandem.
    Es reicht! Reiß dich zusammen. Ich, ja, schäme mich. Fürs Mit-mir-selbst-leiden. Man müsste es ausknipsen können, das Mit-sich-selbst-leiden. Wäre man doch nur ein Lichtschalter, eine simple technische Apparatur. Gelenkt von klaren Befehlen, an oder aus. Die Stimmen, ein Tribunal in meinem Kopf von Leuten, die es alle besser wissen.
    Ich schweige und denke, ich will es versuchen. Ich wende den Kopf und sehe die Relationen: Da sind schon wieder Bomben explodiert, in einem Einkaufszentrum in Bagdad, und haben zwanzig Menschen in den Tod gerissen, Frauen und Kinder. Einfach so. Das sind die Relationen. Täglich irgendwo explodierende Bomben. Krieg. Stell dich also nicht so an!
    Ich gebe mir Mühe, nicht an mich zu denken. Ich denke an unser Kind. Ich würde mich freuen auf seine Zukunft, auf Entwicklungen und Entdeckungen. Es

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