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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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Pumpen. Andere Fische schwammen um den großen Fisch herum, behände, geschäftig. Sie schienen nach den Partikeln im Wasser zu schnappen. Ab und zu stieß einer wie aus Versehen gegen den großen Fisch. Sebastian stand hinter mir. Ich spürte seinen Atem im Nacken. Der Atem roch gasig, leicht faulig. Was meinst du, was der Fisch sieht? Uns? Sich selbst? Gefällt ihm, was er sieht? Ach, ich weiß nicht. Ich griff mit beiden Armen nach hinten, zog Sebastian an mich. Lehnte meinen Kopf an seine Brust. Dann kamen Leute. Sie kamen in Wellen, in Schüben. Als gäbe es draußen eine Ampel. Ein Kind rannte von Fenster zu Fenster, wollte die Fische haschen. Die Fische wurden unruhig, schossen von einer Ecke ihres gläsernen Gefängnisses in die andere. Also sahen sie doch etwas. Oder spürten zumindest die Erschütterung. Luis, riefjemand halblaut. Der Raum war mit schwarzen, dickflorigen Teppichen ausgekleidet, der Fußboden, die Wände, die Decke. Alle sprachen leise. Plötzlich verließ der große Fisch seinen Platz am Fenster. Mit ein paar schnellen, kräftigen Flossenschlägen drehte er auf der Stelle und verschwand hinter einem Dekofelsen. Ob den Fischen langweilig war? Ob sie Abwechslung brauchten? Fressen, schlafen, schwimmen. Spielen? Spielten Fische miteinander? So sah es jedenfalls aus, wenn zwei hintereinander herflitzten, der vordere jäh drehte und seinen Verfolger wie zum Spaß zu zwicken schien. Aber wahrscheinlich beruhte dieses Verhalten auf irgendeiner fischartigen Notwendigkeit. Schliefen Fische? Und wenn ja, wie? Und wann?
    Hier drin konnte kein Fisch erraten, ob es draußen hell oder dunkel war. Tag, Abend, beginnende Nacht. Lose Zeit und Zuflucht. Nachts wird im Aquarium das Licht ausgemacht.
    Der Versuch, die Zeit zu ordnen. Den Rhythmus von Hell und Dunkel aufrechtzuerhalten. Von Schlafen und Wachen. Zunehmend zerfließen die Grenzen der Wahrnehmung. Unscharf wird die Schnittstelle zwischen Bewusstsein und Traum. Dösen, dämmern, ob Tag oder Nacht. Schrecken, aufschrecken. Nicht wissen, wer man ist, wo man ist. Sich allmählich finden, die Flossen sortieren. Am Füllstand des Mondes die Frist bemessen. Am Zustand des Lichts die Zeit ablesen, die noch bleibt, bis es Abend wird.
    Sebastian wurde plötzlich müde. Von einem Moment auf den anderen. Sein Oberkörper klappte nach vorne, gerade noch konnte ich ihn festhalten. Ich bugsierte ihn zu einem der schwarzen Hocker. Ich bestellte ein Taxi direkt vors Aquarium. Eine kleine Frau half uns hinaus, stützte Sebastian von der anderen Seite. Die Sonne blinzelte jetzt unter den Wolken hervor. Aber die Sonne wärmte nicht. Im Gegenteil, die Sonne kühlte.
    Als wir in unsere Straße einbogen, versuchte ich, Sebastian zu wecken. Bastian, aufwachen, wir sind da. Nichts. Er schlief tief und fest. Ich erschrak. Das ist doch nicht normal. Ein erneutes Aneurysma, das geplatzt war? Koma? Bastian! Sollten wir statt nach Hause sofort ins Krankenhaus fahren? Nein. Ich bat den Taxifahrer, Sebastian hochzutragen. Kein Problem, sagte er. Er trug Sebastian bis in unsere Wohnung, legte ihn ins Bett. Obwohl er schlief, drückte ihm der Taxifahrer die Hand zum Abschied. Hielt sie einen Moment lang zwischen seinen beiden grobknochigen Händen. Legte sie ihm dann vorsichtig, als habe er Angst, sie könne abfallen, auf den Bauch.
    Danke, sagte ich.
    Ich zog Sebastian die Schuhe aus. Schob ihm ein Kissen unter den Kopf, deckte ihn zu. Er atmete. Ich sah, wie sein Brustkorb sich bewegte. Sein Gesicht war blass, wächsern. Das muss nichts heißen. Was wäre, wenn. Er vom Schlaf jetzt hinüberglitte in den Tod. Ich legte mich neben Sebastian. Ich griff nicht ein, ließ geschehen. Als habe er mich mit seiner Müdigkeit angesteckt, schlief auch ich bald ein.
    Irgendwann hörte ich ein Husten. Ich dachte, ich träume, wollte im Traum schon aufstehen, um nachzusehen. Aber ich lag ja neben ihm. Er lag neben mir. Ich knipste das Licht an. Seine Augen standen weit offen. Er atmete. Sein Körper war warm. Aus seinem Bauch klang ein anhaltendes Gluckern. Bastian! Hast du gut geschlafen? So froh war ich. Dass er noch bei mir war. Dass er mich nicht allein gelassen hatte. Besser für ihn aber wäre gewesen … Ich war mir sicher. Nein. Besser ist immer das Leben!
    Es war dunkel draußen, stockfinster, es war fast Neumond, die Straßenlampen brannten nicht. Was essen? Du musst doch Hunger haben, du hast seit gestern ja kaum was gegessen. Ich bereitete ein Müsli zu. Haferflocken, Joghurt,

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