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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Bequemlichkeit der Limousine sitzen zu bleiben. Gegen die Nervosität
     nahm sie ein paar Martinis aus der Bar und guckte auf dem eingebauten
     DVD-Viewer den Anfang ihres Lieblingsfilms, Casino. Ruslan herrschte sie
     an, nicht soviel zu trinken. Sie zeigte ihm den Mittelfinger.
    Man würde schnell
     herausfinden, daß ihre Ehe mit Tschutschelow keine sehr glückliche
     gewesen war, mehr ein Zweckbündnis ohne viel Leidenschaft. Weshalb
     sollte sie die flennende Witwe markieren, wo sie doch ein lupenreines
     Alibi besaß? Tschutschelow hatte sie stets unterdrückt,
     manchmal auch geohrfeigt oder für Stunden in ihr Zimmer gesperrt. Sie
     besaß keinen Grund, übertriebene Anteilnahme zu heucheln. Das hätte
     sie nur verdächtig gemacht.
    Es war alles gut so, wie es
     war. Sie trank einen dritten Martini und dachte an die wenigen glücklichen
     Wochen mit Igor zurück, die allerersten Wochen, als er so unverschämt
     einnehmend gewesen war, als er sie von drückenden Schulden befreit
     und ihr ein Leben in Luxus und Glamour geboten hatte.
    Drinnen in der Villa sah sich
     Nabel den Tatort an, das Bad im ersten Stock. Man hatte aus dem runden,
     mit grünem Marmor verkleideten Whirlpool das Wasser abgelassen. Der
     blasse und feiste, nebenbei bemerkt übermäßig behaarte Körper
     Tschutschelows lag halb auf der Seite, der grausig weit geöffnete
     Mund ließ keinen leichten Tod vermuten. Die klassische Nummer. Neben
     dem Toten lag, mit durchgeschmortem Inneren, ein Föhn, nein, kein Föhn,
     Nabel hatte nicht genau genug hingesehen, es war ein Mixer, ein
     sogenannter Zauberstab, mit dem man Lebensmittel pürieren konnte. Es
     hatte einen Kurzschluß gegeben im ganzen Haus, die rundherum
     postierten Leibwächter waren durch die plötzliche Dunkelheit
     alarmiert worden und hatten einige Minuten benötigt, um die Sicherung
     auszutauschen. Einer der vier rannte mit seiner Taschenlampe durch die
     neun Zimmer, fand Tschutschelow und riß den Stecker des Püriergeräts
     aus der Buchse, Sekunden bevor das Licht wieder anging. Sofort wurde
     Dschanow benachrichtigt und erst auf dessen OK hin der Notarzt und die
     Polizei. Der Notarzt hatte noch versucht, Tschutschelows Körper zu
     reanimieren, erfolglos, nun bat er darum, doch bitte entlassen zu werden.
     Das Protokoll zur vorläufigen Todesursache sei unterschrieben, der
     Leichnam werde an die Gerichtsmedizin überstellt. Der Todeszeitpunkt
     wurde mit ungefähr irgendwann vor Mitternacht angegeben.
    Nabel faßte Lidia bei
     der Hand.
    »Mädchen, hilf
     mir! Bitte!«
    »Mach ich, Kai.«
    An der Außenwand der
     Wanne klebte ein Schildchen, ein Etikett, kaum größer als drei
     nebeneinanderliegende Briefmarken. Zu dreckig, das Schwein. Sauber ist es
     nun und rein.
    Das klang wie ein Scherz frei
     nach Wilhelm Busch, noch schlimmer – Nabel empfand es als Verhöhnung.
    Mit violettfarbener Tinte
     wurde ohne Not ein Verbrechen manifestiert, das ansonsten vorläufig
     als Unfall oder Selbstmord hätte interpretiert werden können.
     Der Täter mußte sich sehr sicher fühlen. Was ging hier
     vor? Was würde die Presse dazu sagen?
    Nabel schüttelte
     widerwillig den Kopf, als müsse er nach einem Faustschlag das Bewußtsein
     wiedergewinnen. Er fühlte Lidias Hand auf seiner rechten Schulter,
     was ihm ein wenig Kraft zurückgab.
    »Nimm dich zusammen,
     Kai!«
    »Wir werden verarscht,
     Lidia. Einfach nur verarscht.«
    »Ich weiß. Hilft
     ja nichts. Sag erstmal dem Notarzt, daß er gehen darf.«
    Nabel machte eine flüchtige
     Geste zum Notarzt hin – er dürfe sich entfernen. Es war nicht
     so gemeint, aber ähnlich muß es ausgesehen haben, wenn Kardinal
     Richelieu einen momentan lästigen Diener des Saales verwies. Der Arzt
     hob die Brauen und beschloß, Nabel in alle Zukunft zu verachten.
     Lidia bat durch ein winziges Zwinkern um Entschuldigung für ihren
     Chef, der Arzt akzeptierte die Entschuldigung mit einem kurzen, kaum hörbaren
     Räuspern, als er durch die Tür trat.
    Die Spurensicherung war mit
     der Wanne soweit fertig, Lidia schlug vor, die Leichenbestatter
     ranzulassen. Und stieß unerwartet auf Widerspruch.
    »Kommt nicht in Frage.
     Der Kadaver bleibt hier, solang ich es will.« Nabel klang aggressiv.
     Lidia verstand. Er versprach sich von der Präsenz des wenn auch toten
     Tschutschelow ein psychologisch bedrückendes Moment, das sich als nützlich
     erweisen konnte. Er glich, obwohl nüchtern, einem Betrunkenen, der
     die Feinheiten

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