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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Meinung, daß keine
     Gefahr mehr von ihm ausging, im Gegenteil, er konnte vielleicht sogar als
     Sündenbock herhalten. Falls ihn Ümals Leute nicht längst,
     wie diesen König – ein dreistes Ding – zur Entsorgung
     vorgesehen hatten. Im Grunde war Pfeifer ja deren Problem, wenn überhaupt.
     Wozu sich an ihm die Hände schmutzig machen? Dschanow ließ sich
     in einen riesigen roten Clubsessel fallen. Er hatte genug von Anitas Müll
     weggeräumt, war, wenn er es genau betrachtete, von ihr benutzt
     worden, die ganze Zeit über. Aber in wenigen Stunden würde damit
     Schluß sein, dann würde alles ein Ende haben. Ihm blieben vier
     Stunden, um zu schlafen. Er schlief sofort ein.

 
    21
    Gräfin Schönfels
     hatte noch etwas Zeit und schlenderte erneut zum Buffet. Ihr Mann
     erwartete sie erst gegen Mitternacht zurück. Sie wurde häufig
     nach ihm ausgefragt. Warum er denn nie mitkomme, warum er sich so selten
     in der Öffentlichkeit zeige. Es waren vorsichtige, scheinheilige
     Fragen, die nie den Mut aufbrachten, nach dem Wesentlichen zu zielen.
     Einzig das Selbstbewußtsein eines Jimmy Kistner war impertinent
     genug gewesen, zur Sache zu kommen. Und wenn sie daran zurückdachte,
     gestand sie sich ein, daß er mit seiner Frechheit durchaus amüsant
     gewesen war. Anfangs.
    »Guten Abend! Ihr Gatte
     macht doch in Nutten?« So hatte er sie angeredet, begleitet von
     einem Handkuß, genau ein Jahr war das nun her, hier, fast exakt an
     dieser Stelle, sie hatte vor Verblüffung kichern müssen wie ein
     Schulmädchen. Jeden anderen hätte sie geohrfeigt. Aber dieser
     Mensch hatte was Besonderes an sich. »Unsinn. Er pflegt die
     deutsch-ukrainische Freundschaft, Herr …«
    »Kistner. Der Kistner.
     Sparen wir uns das Gewäsch. Ich wäre interessiert, mal bei einer
     Ihrer Soireen eingeladen zu werden. Ich bin der Puls der Zeit. Wir könnten
     einander viel Gutes tun.«
    Sie hatte nur gelacht und ihn
     stehengelassen. Am nächsten Tag war in der auflagenstärksten
     Zeitung der Hauptstadt eine Szeneglosse erschienen, in der in äußerst
     vorteilhafter Weise ihre Abendgarderobe erwähnt wurde. Anita, fast
     ausnahmslos bigottes Gedruckse gewöhnt, erlag Kistners burschikosen
     Charme und Größenwahn sehr schnell, lud ihn ein, schon aus
     Neugier. Und Tschutschelow, stets an gesellschaftlicher Reputation
     interessiert, entwickelte zum Kolumnisten ein herzliches Verhältnis,
     falsch, herzlich war das absolut unpassende Adjektiv, Tschutschelow besaß
     kein Herz. Ihr fiel kein geeignetes Wort ein. Die beiden verstanden sich
     gut, basta, warum auch immer. Zwischen Kistner und Anita hatte es nie eine
     Affäre gegeben, allerdings etwas anderes, eine Art sonderbarer
     Unverblümtheit. Kistner hatte ihr Pfeifer vorgestellt, seinen, wie er
     sagte, Verbindungsmann bei der hiesigen Staatsgewalt. So fing alles an.
     Pfeifer überreichte ihr wortlos ein Tütchen, gleichsam anstelle
     einer Visitenkarte. Er habe noch mehr davon, jederzeit, für Freunde
     zum Einkaufspreis. Es war eine lustige und wilde Zeit. Kistner nutzte die
     Verbindung zu Tschutschelow weidlich aus, eins kam zum andern, wie Anita
     endlich dazu kam, ihre Phantasien auszuleben.
    Bis Kistner, selbsternannter
     Puls der Zeit, durchdrehte, beziehungsweise sein vom Koks aufgeblähtes
     Hirn. Aber die Idee, die er im Wahn ausgebrütet hatte, war, selbst nüchtern
     betrachtet, apart. Anita, aufgewachsen im trostlosesten Teil des Wedding,
     um eine ihrem Anspruch angemessene Jugend gebracht, witterte die Chance,
     dem Käfig ihres Gatten zu entkommen, und das auch noch auf ganz
     glorreiche Art. Seither hatte sie ein Leben geführt und keine Minute
     davon bereut. Ruslan, mit seiner letztlich bürgerlichen, um
     Sicherheit besorgten Intelligenz ging ihr immer mehr auf die Nerven.
     Wenigstens, das mußte man zu seinen Gunsten sagen, funktionierte er.
     Wie ein Schweizer Uhrwerk. Anita sah auf die Uhr. Es war soweit. Sie
     winkte freundlich lächelnd in die Runde und schritt die Treppe
     hinunter zur Garderobe.
    Nabel betrat den Verhörraum.
     Pfeifer schien ihm sofort ins Gesicht springen zu wollen, schrie und brüllte.
     Nabel verließ wortlos den Verhörraum und schloß hinter
     sich zu. Der Kerl sollte erstmal lernen, sich zu benehmen. Sollte froh
     sein, daß jemand bereit war, sich heute Nacht noch mit ihm zu beschäftigen.
     Ahmed hatte Spätdienst, döste vor dem Telefon herum, und Nabel
     wechselte ein paar belanglose Sätze mit ihm, über

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