Aussortiert
und wenn es passiere, sei es nicht ehrenrührig.
»Ist es nicht? Ihr
bewacht einen wichtigen Mann, aber wißt nicht einmal, wie sein Hausmädchen
mit Nachnamen heißt? Oder wo es sich nachts schlafen legt? Ihr kommt
mir vor wie ein Haufen blutiger Amateure. Kein Wunder, daß euer Boß
krepieren mußte.«
Haßerfüllte Blicke
prasselten auf Nabel ein, einige Arme zuckten, Gemurmel entstand, es
steigerte sich zu Keifen und Zischen.
Dschanow vollführte mit
den Handflächen eine kleine, beruhigende Geste. Sofort herrschte
Stille.
»Hören Sie, Herr
Kommissar, bestimmt existiert hier irgendwo ein Soldbuch, darin steht
Maschkas voller Name und Adresse, da finden sich ihre Papiere, es hat
alles seine Ordnung. Diese braven Leute hier gehören nicht etwa einem
Geheimdienst an, sie sind im Personenschutz tätig, erfüllen
diese Aufgabe, und es besteht keinerlei Grund, ihre Gefühle zu
verletzen.«
Nabel fixierte den Mann in
der Nilpferdlederjacke und hob die linke Oberlippe leicht, um möglichst
abfällig zu wirken. »Es geht hier wohl kaum um verletzte Gefühle,
und ob ein Grund besteht, das entscheide immer noch ich.«
»Bitte sehr, Sie haben
ganz recht, das ist allein Ihre Entscheidung, aber wenn Sie auf unsere
Kooperation setzen, sollten Sie gewisse Rücksichten nehmen …«
Das war zuviel. Nabel biß
die Zähne zusammen. Dieser Mensch, dieser Dschanow, gefiel ihm auf
gewisse Weise. Was er von sich gab, hatte Stil und Duktus, zeugte von
Beherrschtheit und Coolness, er klang zugleich kultiviert und abgefeimt.
Auch zeigte er Haltung, lümmelte nicht herum, stand gerade, mit einem
Arm leicht gegen eine Stuhllehne gestützt, Stand- und Spielbein
selten wechselnd. Man konnte sich ihn, diesen mittelgroßen,
schlanken und an den Schläfen bereits ergrauten Mann recht gut mit
Gamaschen und Nadelstreifenanzug vorstellen, daran änderte selbst die
Jeans nichts. Von Dschanow ging, ganz im Gegensatz zu dieser als Gräfin
schwer herausgeputzten Tusse, Eleganz aus. Die Eleganz der Pragmatik, der
Selbstdisziplin, keine der Décadence und nahenden Hybris. Umso mehr
fühlte sich Nabel herausgefordert.
»Rücksichten
nehmen? Ich verstehe. Ihr seid eine Trauergesellschaft, ja? Die lustigen
Witwen aus Minsk, was?«
Lidia flüsterte ihm
etwas ins Ohr, er verstand es nicht, mochte auch nicht nachfragen, konnte
sich gut denken, was sie ihm geflüstert hatte. Pfeif drauf.
»Also schön. Wir
haben einen toten Großkriminellen aus Randasien, der im Moment
seinen Platz in der Hölle zugewiesen bekommt. Und eine Verdächtige
namens Maschka, von der vier sackgesichtige Bodyguards mich glauben machen
wollen, sie habe der Menschheit einen Dienst erwiesen. Ist es das?«
Lidia packte seinen Arm.
Dschanow mimte den Angeekelten, den Empörten, wendete schwungvoll dem
Kriminaler den Rücken zu, wiederholte dabei jene beschwichtigende
Geste, die die Leibwächter dran hinderte, auf den Kommissar
loszugehen und ihn zu verprügeln.
Nabel, obgleich es nicht den
Anschein hatte, wußte, was er tat. Beziehungsweise besaß sein
Wahnsinn Methode. Nur überziehen durfte er nicht. Dschanow war der
Feind, das schälte sich deutlich heraus. Was den Moment betraf, hatte
er keine Lust, sinnlos nachzubohren. Einzig dieses ab und an in ein
Taschentuch rotzende Tränenkrokodil im rückenfreien Abendkleid,
das wollte er noch triezen. Aus Bosheit.
Dschanow und die Leibwächter
schickte er in den Feierabend. Sie ließen sich aber nicht
fortschicken, eine Diskussion entstand, Lidia erreichte schließlich
einen Kompromiß, und die fünf Männer nahmen am anderen
Ende des riesigen Wohnzimmers auf der Biedermeier-Sitzgruppe Platz, zwei räkelten
sich in die Sessel, zwei hockten auf dem Sofa. Dschanow besetzte die
Chaiselongue, die Wange auf den linken Handrücken gestützt. Von
dort aus, etwa acht Meter entfernt, konnte er dem Gespräch gut
folgen, und Nabel spürte seinen aufmerksamen Blick im Nacken.
»Wie würden Sie
Ihren Verstorbenen denn charakterisieren? War er ein ehrgeiziger Mensch?«
Die Gräfin stöhnte
laut, wie über eine Zumutung, doch brachte sie es fertig, den
leichten Tränenfluß ununterbrochen am Laufen zu halten. »Was
soll ich darauf bitte antworten? Ehrgeizig? Ich will Ihnen vor allem mal
eines sagen: Er war der Sohn eines in Treblinka vergasten Vaters. Von
daher besaß er ein besonderes Verhältnis zu Deutschland, kein
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