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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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und wenn es passiere, sei es nicht ehrenrührig.
    »Ist es nicht? Ihr
     bewacht einen wichtigen Mann, aber wißt nicht einmal, wie sein Hausmädchen
     mit Nachnamen heißt? Oder wo es sich nachts schlafen legt? Ihr kommt
     mir vor wie ein Haufen blutiger Amateure. Kein Wunder, daß euer Boß
     krepieren mußte.«
    Haßerfüllte Blicke
     prasselten auf Nabel ein, einige Arme zuckten, Gemurmel entstand, es
     steigerte sich zu Keifen und Zischen.
    Dschanow vollführte mit
     den Handflächen eine kleine, beruhigende Geste. Sofort herrschte
     Stille.
    »Hören Sie, Herr
     Kommissar, bestimmt existiert hier irgendwo ein Soldbuch, darin steht
     Maschkas voller Name und Adresse, da finden sich ihre Papiere, es hat
     alles seine Ordnung. Diese braven Leute hier gehören nicht etwa einem
     Geheimdienst an, sie sind im Personenschutz tätig, erfüllen
     diese Aufgabe, und es besteht keinerlei Grund, ihre Gefühle zu
     verletzen.«
    Nabel fixierte den Mann in
     der Nilpferdlederjacke und hob die linke Oberlippe leicht, um möglichst
     abfällig zu wirken. »Es geht hier wohl kaum um verletzte Gefühle,
     und ob ein Grund besteht, das entscheide immer noch ich.«
    »Bitte sehr, Sie haben
     ganz recht, das ist allein Ihre Entscheidung, aber wenn Sie auf unsere
     Kooperation setzen, sollten Sie gewisse Rücksichten nehmen …«
    Das war zuviel. Nabel biß
     die Zähne zusammen. Dieser Mensch, dieser Dschanow, gefiel ihm auf
     gewisse Weise. Was er von sich gab, hatte Stil und Duktus, zeugte von
     Beherrschtheit und Coolness, er klang zugleich kultiviert und abgefeimt.
     Auch zeigte er Haltung, lümmelte nicht herum, stand gerade, mit einem
     Arm leicht gegen eine Stuhllehne gestützt, Stand- und Spielbein
     selten wechselnd. Man konnte sich ihn, diesen mittelgroßen,
     schlanken und an den Schläfen bereits ergrauten Mann recht gut mit
     Gamaschen und Nadelstreifenanzug vorstellen, daran änderte selbst die
     Jeans nichts. Von Dschanow ging, ganz im Gegensatz zu dieser als Gräfin
     schwer herausgeputzten Tusse, Eleganz aus. Die Eleganz der Pragmatik, der
     Selbstdisziplin, keine der Décadence und nahenden Hybris. Umso mehr
     fühlte sich Nabel herausgefordert.
    »Rücksichten
     nehmen? Ich verstehe. Ihr seid eine Trauergesellschaft, ja? Die lustigen
     Witwen aus Minsk, was?«
    Lidia flüsterte ihm
     etwas ins Ohr, er verstand es nicht, mochte auch nicht nachfragen, konnte
     sich gut denken, was sie ihm geflüstert hatte. Pfeif drauf.
    »Also schön. Wir
     haben einen toten Großkriminellen aus Randasien, der im Moment
     seinen Platz in der Hölle zugewiesen bekommt. Und eine Verdächtige
     namens Maschka, von der vier sackgesichtige Bodyguards mich glauben machen
     wollen, sie habe der Menschheit einen Dienst erwiesen. Ist es das?«
    Lidia packte seinen Arm.
     Dschanow mimte den Angeekelten, den Empörten, wendete schwungvoll dem
     Kriminaler den Rücken zu, wiederholte dabei jene beschwichtigende
     Geste, die die Leibwächter dran hinderte, auf den Kommissar
     loszugehen und ihn zu verprügeln.
    Nabel, obgleich es nicht den
     Anschein hatte, wußte, was er tat. Beziehungsweise besaß sein
     Wahnsinn Methode. Nur überziehen durfte er nicht. Dschanow war der
     Feind, das schälte sich deutlich heraus. Was den Moment betraf, hatte
     er keine Lust, sinnlos nachzubohren. Einzig dieses ab und an in ein
     Taschentuch rotzende Tränenkrokodil im rückenfreien Abendkleid,
     das wollte er noch triezen. Aus Bosheit.
    Dschanow und die Leibwächter
     schickte er in den Feierabend. Sie ließen sich aber nicht
     fortschicken, eine Diskussion entstand, Lidia erreichte schließlich
     einen Kompromiß, und die fünf Männer nahmen am anderen
     Ende des riesigen Wohnzimmers auf der Biedermeier-Sitzgruppe Platz, zwei räkelten
     sich in die Sessel, zwei hockten auf dem Sofa. Dschanow besetzte die
     Chaiselongue, die Wange auf den linken Handrücken gestützt. Von
     dort aus, etwa acht Meter entfernt, konnte er dem Gespräch gut
     folgen, und Nabel spürte seinen aufmerksamen Blick im Nacken.
    »Wie würden Sie
     Ihren Verstorbenen denn charakterisieren? War er ein ehrgeiziger Mensch?«
    Die Gräfin stöhnte
     laut, wie über eine Zumutung, doch brachte sie es fertig, den
     leichten Tränenfluß ununterbrochen am Laufen zu halten. »Was
     soll ich darauf bitte antworten? Ehrgeizig? Ich will Ihnen vor allem mal
     eines sagen: Er war der Sohn eines in Treblinka vergasten Vaters. Von
     daher besaß er ein besonderes Verhältnis zu Deutschland, kein
    

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