Aussortiert
halten wegen seines Diabetes. Das Pornokino war unter anderem
ein Ablenkungsmanöver, verdrängte den Appetit.
Wie dunkel es hier war. Kaum
konnte Zisska den Aschenbecher vor sich erkennen. Ein Zuschauer verließ
den Raum, der Ventilator surrte. Wenigstens war es angenehm kühl, man
bekam nach einer Weile Lust auf Tee, der hier im Eintrittspreis von sieben
Euro inbegriffen war. Tee und Kaffee, soviel man wollte. Zisska blieb
sitzen. Zu faul, die Hose noch mal zuzumachen, aufzustehen, Tee zu holen,
sich hinzusetzen, die Hose wieder aufzumachen.
Die Kamera erfror auf dem
Gesicht eines stöhnenden, pummeligen Mädchens, für einen
Moment hätte man das Sperma auf ihrer Unterlippe für Eiszapfen
halten können. Das nächste Mädchen sah besser aus, eine
Asiatin oder Eurasiatin, schlank, mit kleinen festen Brüsten, tollen
langen Beinen und rasierter Möse. Zisska begann heftig zu onanieren,
stürzte sich in eine spontane Liebesbeziehung zur Darstellerin,
wollte sie besitzen, penetrieren und imaginär befriedigen, vor allem
wollte er schnell fertig werden, bevor die nächste mittelmäßige
Episode seinen schönen Traum unterbrechen könnte. Zisska fühlte
sich nie hundertprozentig wohl hier, das lag an seiner verklemmten
Erziehung, manchmal träumte er, sich vor den schon lange toten Eltern
rechtfertigen zu müssen. Es ist wegen des Diabetes, Mama, würde
er im Traum sagen. Und billig ist es. Man kann sich nirgends anstecken.
Gut für die Prostata sei es auch, hatte er gelesen. Plötzlich spürte
er einen heftigen Druck im Hals, etwas spannte sich um seine Kehle, er
stand Sekunden vor der Ejakulation und fühlte sich nicht eigentlich
bedroht, eher belästigt. Sein Gehirn wollte nicht wahrnehmen, nicht
benennen, was geschah, er wehrte sich kaum und starb binnen einer Minute,
ohne noch einmal zum Orgasmus zu kommen. Nicht einmal Aufsehen wurde
erregt. Die beiden weiter vorn sitzenden älteren Herren nahmen
Zisskas gedämpftes Röcheln als nichts Besonderes wahr, sie kümmerten
sich weiter um eigene Angelegenheiten.
Der tote Bernd Z. saß
noch viele Stunden lang auf seinem Sitz in der vorletzten Reihe, mit auf
die Brust gekipptem Kopf. Zwei Wochen hatten dem gelernten
Schlossermeister zur Pensionierung gefehlt. Erst nach Geschäftsschluß,
gegen vier Uhr morgens, als der farbige Putzgehilfe ihn an der Schulter rüttelte,
kippte Zisska zur Seite. Um den Hals trug er noch immer den blauen
Polyacrylschal, auch wenn der sich binnen so vieler Stunden etwas
gelockert hatte.
Nabel erwachte mit pochenden
Kopfschmerzen, wie an jedem Morgen. Drei Jahre war es her, daß Anna
sich von ihm hatte scheiden lassen. Exakt drei Jahre, auf den Tag genau.
Seitdem war es mit Kai Nabel
stetig bergab gegangen, und daß er vor zwei Monaten dennoch zum
Kriminalhauptkommissar befördert wurde, hatte er einzig Lidia zu
verdanken. Galt Nabels erster Gedanke morgens den Schmerzen in seinen Schläfen,
galt der zweite, spätestens der dritte, ihr. Sie war lebenswichtig für
ihn geworden. Lidia Rauch bügelte mit ihrem akribischen, leicht
schlaumeierischen Wesen regelmäßig all jene Nachlässigkeiten
aus, die aus Nabels schludriger, um nicht zu sagen gleichgültiger
Berufseinstellung entstanden.
Nabel lebte seit der
Scheidung allein. Zu einer neuen Beziehung fehlte ihm der Mut. Er ließ
sich von Kammermusik wecken, begann den Tag rituell mit einem –
einem einzigen – Schluck eiskalten Prosecco. Abends bevorzugte er
teuren italienischen Rotwein, sah sich gerne Tarantino-Filme an und
rauchte filterlose Zigaretten. Nach der Scheidung war er in eine billige
Wohnung in Neukölln gezogen, nahe seinem Haupteinsatzgebiet
Kreuzberg. Im Zehnparteienhaus wohnten ausnahmslos ruhige Mieter, darunter
nur zwei türkische Familien, beide mit fast erwachsenen Kindern.
Nabel war Ruhe enorm wichtig. Er konnte vom Wohnzimmer aus auf den hübsch
renovierten Körnerpark sehen. Seine beiden Besteckschubladen
enthielten zwanzig Gabeln und genauso viele Messer und Löffel. Damit
die Spülmaschine anständig satt wurde und nur einmal jede Woche
angeworfen werden mußte. Eine Rentnerin in der Nachbarschaft wusch
seine Wäsche, kassierte dafür fünfzig Euro pro Monat.
Eigentlich zuviel. Nabel wohnte im vierten, dem obersten Stock, die
Dreizimmerwohnung besaß einen kahlen kleinen Balkon, auf dem er
nachts gerne saß und Streichquartette
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