Aussortiert
aber es ist die Wahrheit, der Wagen
ist mir gestohlen worden, und was das Schlimmste ist …«
»Ja?«
»Es kann durchaus möglich
sein, daß König mit diesem meinem Wagen angefahren wurde. Es
kann verdammt gut möglich sein, daß mir jemand was in die
Schuhe schieben will.«
Pfeifer sagte in diesem Punkt
aparterweise die Wahrheit. Nabel hob die Brauen. Was ihm da aufgetischt
wurde, hätten die meisten Kriminaler als einzig mögliche,
dennoch schwache Ausrede betrachtet und sofort verworfen. Nabel hingegen
hatte sich immer einen Schuß Phantastik bewahrt, er zog zumindest
die Möglichkeit in Betracht, daß Pfeifers Wagen tatsächlich
gestohlen worden war. Es paßte in seine Theorie von einem
dahinterstehenden Clan.
»Pfeifer – Sie können
sich jetzt hinter Ihrem toten Chef verstecken und mir Märchen ohne
Ende auftischen, Sie haben recht, ich muß Ihnen erst das Gegenteil
beweisen. Könnte schwer werden. Aber falls das mit Ihrem Wagen
stimmt, dann würde das ja bedeuten, daß jemand einen ganz ganz
schlimmen Verdacht auf Sie lenken will und derjenige Ihnen weißgott
nicht wohlgesonnen ist, hab ich recht?«
Pfeifer nickte heftig. Da
habe Nabel absolut recht, absolut. König sei tot? Das sei ja
furchtbar. Ganz furchtbar.
Nabel biß sich auf die
Lippen und bemühte sich, seinen Lapsus zu überspielen. »Na
also, wenn das so furchtbar ist, dann bitten Sie mich doch einfach um
Hilfe!«
Pfeifer sah zu Boden, verbarg
den Kopf in beiden Handflächen und gab für mehrere Minuten bis
auf ein leises Schluchzen keinen Laut von sich. Wenn er in diesem Moment hätte
argumentieren wollen, hätte er gesagt, daß Nabel ihm keinen
Schutz bieten könne. In den USA, dort wäre das
Zeugenschutzprogramm ausreichend dicht geknüpft gewesen, um ihm,
Pfeifer, die nötige Protektion zu gewähren, im Sinne einer
Kronzeugenregelung. Hier im viel zu engen Deutschland – keine
Chance.
Während Pfeifer das
alles zwar nicht explizit sagte, es aber allein durch sein Schweigen
irgendwie doch mitteilte, entstand ein beinahe intimer Moment, wie
zwischen Katholik und Beichtvater, wenn das Substantielle, das
Unaussprechliche umschifft und doch soweit angedeutet werden muß, um
Verständnis zu erreichen, samt einer Basis für Reue, Buße
und Vergebung. Nabel genoß den Augenblick. Und verabscheute ihn
zugleich. Er hatte instinktiv begriffen, daß Pfeifer abkömmlich,
ein aussortierter Haufen Dreck war. Es galt nur noch, ihn in eine Position
zu lotsen, aus der heraus er sich gezwungen sah zu kollaborieren.
Umso ekelhafter, fast
unentschuldbar, die Störung. Ahmed platzte herein, ohne zu klopfen.
»Chef! Es ist was
passiert.«
»Du störst!«
»Sorry, es ist wirklich
wichtig!«
Ahmed wechselte vor der Tür
ein paar geflüsterte Worte mit seinem Chef. Der wurde blaß,
betrat das Zimmer noch einmal, eröffnete Pfeifer, er werde über
Nacht auf jeden Fall hierbehalten, man werde morgen früh neu
entscheiden. David Pfeifer nahm das stumm, mit ausdruckslosem Gesicht zur
Kenntnis.
Anita von Schönfels und
Ruslan Andriko Dschanow kamen kurz vor halb eins in der Wilmersdorfer
Villa an. Es war durchaus nichts Ungewöhnliches, daß ein Vize
die Frau seines Paten persönlich durch die Stadt kutschierte. So
etwas zählte nicht etwa zu ehrenrührig niederen
Dienstverrichtungen, sondern galt im Gegenteil als Auszeichnung, als
Signum höchsten Vertrauens. Die Limousine hielt am Gehsteig gegenüber
der Villa, vor der schon zwei Streifenwagen parkten. Auf dem Rasen stand
das Quartett von Tschutschelows Bodyguards, rauchend und heftig
gestikulierend. Sogar die Leichenbestatter waren schon eingetroffen, die
Jungs mit den grauen Mützen hatten beschlossen, in ihrem Mercedes
Karten zu spielen, bis sie von der Spurensicherung an ihren Arbeitsplatz
geholt werden würden.
Dschanow konnte und mußte
auch gar nicht so tun, als träfe ihn die Nachricht von Tschutschelows
Tod wie ein Schlag vor der Haustür. Einer der Leibwächter hatte
ihn bereits vor einer dreiviertel Stunde per Handy unterrichtet. Dschanow
hatte umgehend veranlaßt, die üblichen Behörden zu rufen.
Jetzt bog auch Ahmed in die Straße ein, hinten im Auto saßen
Nabel und die unterwegs aufgegabelte Lidia. Die frischgebackene Witwe von
Schönfels entschloß sich, vorerst nicht hysterisch schreiend
ins Haus zu rennen, sondern, so lange es irgendwie ging, in der
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