Aussortiert
Ära – in seinem Fall die BRD der Fünfziger Jahre
– glaubhaft und erkenntnisreich darstellen kann. Mir lag an einer
weniger epischen Gegenwartshandlung, in dessen Mittelpunkt ein Kommissar
stehen sollte, der im ethischen Grenzbereich anzusiedeln war und als purer
Sympathieträger vom Leser nicht so einfach durchgewunken werden kann.
Inzwischen haben etliche hauptberufliche Krimiautoren diesem Typus
Grauzonen-Mensch so viele Texte gewidmet, daß er beinahe schon zum
Stereotyp geworden ist. Dennoch bin ich im Nachhinein sehr froh, diesen
Roman geschrieben zu haben. Als Publikation unter dem Pseudonym Titus
Keller im Eichborn-Verlag war ihm nur wenig Erfolg beschieden. An den
Kritiken lag es nicht, die waren zumeist positiv. Doch jener Titus Keller
war nunmal ein Niemand, ein unbeschriebenes Blatt, dessen Buch es wie
jeder Newcomer auf dem überfüllten Markt schwer hatte. Die Lust,
unter Pseudonym zu veröffentlichen, entsprach der Lust an einem
Abenteuer, einer Neuerfindung, einem Neuanfang. Der Sehnsucht nach dem Glücksmoment
vielleicht, als man einmal das erste gedruckte Exemplar des eigenen
Erstlings in Händen hielt. Leider wußten alle
Eichborn-Vertreter, wie Titus Keller wirklich hieß, und einer von
ihnen muß geplaudert haben, denn im Focus stand alsbald zu lesen,
Titus Keller sei in Wahrheit Helmut Krausser. Was nur beweist, daß
den Literaturteil des Focus kaum jemand wirklich liest, denn das Rätselraten
ging wochenlang weiter. Ich befand mich derweil in einer unangenehmen
Situation. Wenn mich jemand auf Titus Keller ansprach, mußte ich, um
die Form zu wahren, leugnen, etwas mit ihm zu tun zu haben. Als würde
ich mich für etwas schämen müssen. Oder als hätte ich
gar ein Kommerzprodukt in die Welt gesetzt, um endlich mal richtig Geld zu
verdienen. Das hätte ich denn doch ganz anders angefangen. Aus einer
solchen Angelegenheit stilvoll herauszukommen, war indes nicht schwer. Kai
Nabel, dem Protagonisten, gönnte ich in Einsamkeit und Sex und
Mitleid einen Gastauftritt, wodurch ich mich definitiv als Autor von
Aussortiert outete. Wenn das Buch nun neu erscheint, als Taschenbuch im
DuMont Buchverlag, unter meinem Namen, riskiere ich, daß ein paar
meiner Leser ein und denselben Text von mir vielleicht zum zweiten Mal
erstehen. Für diesen Fall möchte ich mich entschuldigen.
Ansonsten ist nun alles geregelt.
Helmut Krausser
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