Australien 01 - Wo der Wind singt
im Rücken spüren. Und dann würde sie vor Scham fast wieder sterben.
Sie hatte ihre Wrangler-Jeans getragen, so lange das möglich gewesen war. So lange, bis ihr Ledergürtel keine Löcher mehr hatte. Der Stoff ihres RM-Williams-T-Shirts hatte sich auf der Vorderseite so sehr ausgedehnt, dass die Hörner des Langhorn-Logos noch länger wurden. Als sie schließlich doch kapitulieren musste und sich Umstandskleidung gekauft hatte, trug sie trotzdem weiterhin ihre kanadischen Cowboystiefel. Auch wenn es ihr nur mit Mühe gelang, ihre geschwollenen Füße hineinzuzwängen.
Ein schwangeres Mädchen in Cowboystiefeln. Sie hatte sich vor den Spiegel gestellt und über sich selbst gelacht. Sie erinnerte sich
jetzt daran, wie sie in ihrer Umstandskleidung betrunken an der Bar gestanden und sich über sich selbst lustig gemacht hatte. Erinnerte sich, dass sie mit dem breiten Elastikeinsatz geprahlt hatte, der sich über ihren dicken Bauch gespannt hatte. Dass sie geprahlt hatte, da drin sei nur Bier und kein Baby.
Die Jungen hatten sie ungläubig angestarrt, während die Mädchen gelacht hatten. Dennoch hatte sie erkannt, wie schockiert sie waren. Schockiert darüber, dass sie Alkohol trank. Dass sie eine Dose Bier nach der anderen hinunterkippte, als wäre ihr alles völlig egal. Schockiert darüber, dass sie genauso alt wie sie und schon schwanger war. Schockiert darüber, dass sie glaubte, zu ihnen zu gehören.
Jetzt starrte Kate traurig die kirschroten, gelben und blauen Blumen an, die auf die Ziegelmauer der Kindertagesstätte gemalt waren. Sie seufzte. Sie wusste, dass sie genauso wenig zu der Welt dort drin gehörte. Sie ließ den Wagen an, trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch und fuhr mit heulendem Motor die Straße entlang davon.
Kapitel 4
K ate saß an ihrem Schreibtisch und hielt sich an einer Tüte Pommes frites fest. Die Trennwände des Großraumbüros im Landwirtschaftsministerium trugen wenig dazu bei, ihren verkaterten Zustand zu verbergen. Dimity aus der Buchhaltung, die mit der Stupsnase und der runden Brille, hatte sie schon bald aufgespürt.
»Ich habe gehört, dass du gestern beim Landwirtschaftstag den Tasmanischen Teufel in dir ganz schön rausgelassen hast«, neckte sie sie.
Kate zuckte mit den Achseln und bot ihr von ihren Pommes an. Als Dimity ihren aschblonden Kopf schüttelte, stopfte sich Kate selbst ein paar Pommes frites in den Mund. Sie hatte das Ganze schon fast zu Kartoffelbrei zerkaut, als plötzlich Buzz Thompson neben ihrem Schreibtisch stand. Sie sah ihn an.
»In mein Büro. Sofort.« Als Buzz davonging, fielen Kate sein Stiernacken und seine Blumenkohlohren auf, die seine Leidenschaft für Rugby dokumentierten.
In Buzz’ Büro warf sich Kate in einen Sessel und begann sich dann hin und her zu drehen, so als wolle sie seinem unverwandten Blick ausweichen.
»Was war gestern los?«
»Was meinst du?«, fragte Kate.
»Du weißt ganz genau, was ich meine.«
»Ach! Der Wettbewerb im Schafezählen. Ja. Den habe ich gewonnen. Tolle Reklame für das Ministerium, findest du nicht auch? Habe den Farmern gezeigt, dass ein paar von uns Beamten auch in der Praxis was draufhaben.«
»Das meine ich nicht.«
In Kates Erinnerung blitzte ein Bild auf. Sie sah sich wieder auf dem Parkplatz der Landwirtschaftausstellung, mit dem Rücken an einen
mit Schlamm bespritzten Hilux-Pick-up gepresst und viel zu betrunken, um sich wegen der Passanten Gedanken zu machen, während der Viehhändler ihre Brüste unter dem Shirt des Landwirtschaftsministeriums betatschte. Sie erinnerte sich an den Geschmack von Bier und den scharfen Geruch abgestandenen männlichen Schweißes.
Kate senkte den Blick und starrte auf ihren Schoß.
»Du hast bereits zwei Abmahnungen«, sagte Buzz, und Kate konnte nichts anderes tun, als zu nicken.
»Wir haben dich eingestellt, weil du intelligent bist. Sehr intelligent. Aber irgendwie kommst du hier nicht klar. Ich glaube, du weißt, dass deine Dreimonatsbeurteilung ansteht?«
Kate ahnte, was jetzt kommen würde. Sie starrte Buzz’ gerötetes Gesicht und sein zerzaustes sandblondes Haar an.
»Ich kann dich hier nicht länger halten«, sagte er. Kate wollte etwas sagen, aber er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Mir ist deine persönliche Situation durchaus bewusst. Deshalb habe ich ein paar Erkundigungen eingeholt und dann eine Versetzung nach Tasmanien empfohlen.«
Kate konnte nicht anders.
»Eine Versetzung nach Tasmanien!«, rief sie und begann
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