Australien 01 - Wo der Wind singt
und tiefer. Ihre Seelen verschmolzen miteinander, so dass es schließlich keine Grenzen mehr zwischen ihnen gab. Sie sahen einander minutenlang an, während sich ihr Blick voller Staunen und Liebe ineinanderversenkte. Eine junge Liebe, so alt wie die Zeit selbst.
Es hatte in dieser Zeit aber auch verrückte Abende gegeben. Manchmal hatte es noch spät am Abend an der Tür geklopft, so heftig und laut, dass die Fenster geklappert und die Wände gebebt hatten. Als sie dann geöffnet hatten, war Nicks Bruder Angus mit einer Flasche bestem Scotch in der Hand in das kleine Wohnzimmer gestampft, dessen Decke so niedrig war, dass er den Kopf einziehen musste.
»Du lieber Himmel«, hatte er bei seinem ersten Besuch gesagt, »hier drin hat ja kaum eine Katze Platz.« Dann hatte er mit seinem dicken Finger auf Nells Kätzchen gezeigt. »Nun, zumindest scheint sich dieser
Winzling hier ganz wohlzufühlen. Ihr müsst mich daran erinnern, dass ich immer genau hinschaue, bevor ich mich irgendwo setze. Dieses Kerlchen ist ja so klein, das verschwindet sonst noch auf Nimmerwiedersehen in meinem Hintern.« Dann hatte er seinen Hut in den Nacken geschoben und ein zischendes Lachen ausgestoßen, das sich anhörte wie eine Dampflokomotive. Kate war immer wieder verblüfft, wie unterschiedlich die beiden Brüder waren.
Als Angus dann den dritten Abend hintereinander aufgetaucht war, diesmal mit einer Flasche Cointreau und einem Sixpack Bier, stellte Kate überrascht fest, dass sie sich langsam an ihn zu gewöhnen begann. Er war tatsächlich ein absoluter »Dummschwätzer«, so jedenfalls hätte Will ihn beschrieben. Aber er war auch schlau wie ein Fuchs. Hinter all seinem Gepolter verbarg sich ein durchaus weicher Kern. Sie saßen zu dritt da und hatten Karten von Bronty und den Sanierungsplan, den Kate sich aus dem Computer ausgedruckt hatte, vor sich ausgebreitet. Nick hatte sich einen Stift hinters Ohr geklemmt, Kate hatte einen Taschenrechner und Angus ein Bier in der Hand, während sie immer wieder durchrechneten, ob Kate nicht wenigstens einen Teil von Bronty kaufen konnte. Inzwischen lag auch der Flächennutzungsplan vor. Unzählige Linien bedeckten auf der Karte den sechstausend Hektar umfassenden Grund. Kleinere Parzellierungen an der Küste, dickere Linien, die den Rest des Anwesens in große Vierecke unterteilten.
Kate ging mit den beiden immer wieder die Zahlen durch, versuchte Nick und Angus zu erklären, wie viel Kapital sie brauchten, um die nach dem Plan ausgewiesenen landwirtschaftlichen Nutzflächen von Bronty kaufen zu können. Sie zeigte mit dem Finger auf die Flächen, die auch das Farmhaus umfassten.
»Ich kann nur zweihunderttausend aufbringen. Ihr beide müsstet also mehr einbringen. Ich könnte aber anbieten, dass ich dafür erst einmal unentgeltlich arbeite.«
Angus sah Nick an. In seinem schiefen Lächeln lag Zustimmung.
»Gutes Mädchen«, sagte er. Er tippte sich mit dem Finger an den Kopf. »Klug. Und bringt Kapital mit.«
Kate ignorierte ihn und sprach weiter.
»Wenn wir die Banken überzeugen können, dass wir über ausreichend Grundkapital verfügen, werden sie uns einen Kredit bewilligen, der vielleicht, ich sage vielleicht, so hoch ist, dass wir bei der Auktion mit den Holzfirmen und den anderen Investoren vom Festland mithalten können. Diese Flächen hier«, sie zeigte dabei auf die hügeligeren Gebiete von Bronty, »können wir allerdings vergessen. Da werden uns die Holzunternehmen mit Sicherheit überbieten. Wir können den Banken nicht beweisen, dass wir aus diesem Land genauso viel Gewinn erwirtschaften wie diese Firmen, die zudem durch Investoren gestützt werden und alle möglichen Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen können.«
Als sie wieder einmal zusammengesessen und über den Plänen gebrütet hatten, hatte plötzlich das Telefon geklingelt. Kate war aufgestanden und hatte abgenommen. Es war ihr Vater. Stumm vor Schreck, ließ sie ihren Blick von den Grundstücksplänen zu Nick hinüberwandern und machte ein fragendes Gesicht.
»Ja?«, fragte sie vorsichtig.
Henry räusperte sich und sagte dann schlicht: »Ich rufe an, weil ich hören wollte, wie es Nell geht.«
»Ja«, sagte Kate mit hörbarer Anspannung in der Stimme. »Es geht ihr gut. Die Platzwunden sind schon fast verheilt, und es gibt keinerlei Anzeichen für eine Gehirnerschütterung. Danke.« Pause.
»Pass gut auf sie auf.« Wieder eine Pause.
»Das mache ich.«
»Gut. Okay. Gute Nacht, Kate.«
»Nacht«,
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