Australien 01 - Wo der Wind singt
Fingerspitzen wanderten langsam über das Kissen und stießen endlich auf weiche, flaumige Haare. Aber das war doch nicht Nick! Sie riss die Augen auf. In der warmen Delle, die Nicks Kopf auf dem Federkissen hinterlassen hatte, lag ein kleines, schwarzweißes Fellknäuel, das leise vor sich hin schnurrte.
»Himmelherrgott, Collie! Du hast mich vielleicht erschreckt. Ich dachte, du wärst eine Ratte! Runter vom Kopfkissen!« Kate nahm das Kätzchen, griff mit der anderen Hand nach ihrem Bademantel und hängte ihn sich um die Schultern. Sie stieg aus dem Bett und wäre dabei fast auf Sheila getreten, die leise schnarchte, wie alte Hunde das oft tun.
»Ach, du hast dich also auch hier reingeschlichen, altes Mädchen?« Sie setzte das Kätzchen in die warme Kuhle, die von Sheilas angezogenen Beinen gebildet wurde. »Pass schön auf Collie auf.«
Sheila sah Kate mit ihren vom grauen Star verschleierten Augen an und leckte sich über die Lefzen. Sie klopfte mit ihrer Rute zweimal auf den Boden, beschnupperte das Kätzchen und atmete dann tief durch ihre rissige, ledrige Nase aus. Dann legte sie ihren Kopf wieder auf
den Boden und döste weiter vor sich hin. Das Kätzchen beschnupperte den Hund, gähnte, schüttelte kurz den Kopf und rollte sich dann zwischen Sheilas Pfoten zusammen.
Kate ging barfuß in den Flur hinaus. Sie fand Nick und Nell im Wohnzimmer. Nick kniete auf dem Boden und baute gerade eine Holzeisenbahn für Nell zusammen. Nell, die noch ihren Pyjama anhatte, hatte strubbelige Haare, und ihr strahlendes Gesicht war von einem Ohr bis zum anderen mit Vegemite beschmiert. Nick, der in seinen gestreiften Boxershorts einfach zum Anbeißen aussah, sah Kate an.
»Guten Morgen, meine Hübsche«, sagte er. »Ich habe ein kleines Tierchen im Haus herumhuschen gehört. Also bin ich aufgestanden, um zu sehen, was es ist. Und weißt du, was ich gefunden habe? Das hier!« Er deutete mit dem roten Eisenbahnwagen, den er gerade in der Hand hielt, auf Nell.
»Aha«, sagte Kate. »Also, ich habe sogar mehrere Tierchen in meinem Schlafzimmer gefunden, nur nicht das, das ich gesucht habe.« Sie kniete sich zwischen die beiden auf den Boden.
»Guten Morgen, Nellie«, sagte sie, und drückte ihrer Tochter dabei einen dicken Kuss auf die Stirn, direkt unter die Stelle, an der sich das letzte Pflaster befand. »Und dir auch einen guten Morgen.« Sie wandte sich jetzt Nick zu, um ihn zu küssen, wobei sie ihn unter ihren dunklen Wimpern hervor beinahe schüchtern ansah. Die Euphorie ihrer jungen Liebe brachte ihr Inneres dazu, regelrechte Purzelbäume zu schlagen. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie zärtlich.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er und meinte damit den Verkauf von Bronty.
Kate nickte.
»Tuut, tuut!«, sagte Nell. Kate schmiegte sich an Nick, und dann saßen die beiden da und sahen Nell dabei zu, wie sie den Zug vor-und zurückschob. Kate dachte an die letzten Tage.
Nick hatte viel auf der Farm zu tun gehabt. Außerdem war er damit beschäftigt gewesen, den Nachlass seines Vater zu ordnen. Seine Verwirrung und sein Kummer waren groß gewesen, gleichzeitig aber
stärkte ihn seine Liebe zu Kate. Kate wiederum hatte Nells Unfall noch nicht ganz verarbeitet. Dies und das Wissen, dass Bronty schon bald für immer verloren wäre, bedrückte sie sehr. Sie befand sich in einer Art Blase, abgeschirmt von der Wirklichkeit. Sie ging zwar ihrer Arbeit nach, hatte jedoch keine Freude daran und lebte im Grunde nur für den einen Moment, wenn sie am Abend Nell und Nick wiedersah. Die beiden waren das Einzige, was noch Leben in ihre so klein gewordene, isolierte Welt brachte. Nick kam jeden Abend zu ihr in ihr kleines Häuschen. Jetzt, da Angus da war, um seiner Mutter Gesellschaft zu leisten, konnte er sich wenigstens abends für Kate Zeit nehmen.
Er aß mit Kate und Nell zu Abend, und widmete sich dann voll und ganz der neuen und ungewohnten Aufgabe, seine kleine Tochter zu Bett zu bringen. Wenn Nell eingeschlafen war, holte er Kate langsam in die Welt der Erwachsenen zurück. Im Schlafzimmer des kleinen Häuschens verloren sie sich dann jeden Abend ineinander. Ihren Kummer, ihre Trauer und ihre Enttäuschungen vergessend, entdeckten sie jede Nacht neues Land, indem sie die Geographie ihrer Körper erforschten. Die Kuppe einer Schulter, die Einbuchtung einer Taille, die sanften Konturen einer Hüfte, die Höhle eines Nabels und die Täler zwischen den Zehen. Ihre Liebe zueinander wurde immer stärker
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