Australien 01 - Wo der Wind singt
ihrem vollkommenen kleinen Gesicht waren mehrere Kratzer und Striemen zu sehen. Eines ihrer
Augen begann langsam zuzuschwellen. Kate spürte Nicks Hand, die auf ihrem Rücken lag. Warm und stark. Dann stand ihr Vater vor ihr. Er beugte sich über sie und sagte leise: »Hier draußen ist es viel zu gefährlich, Katie. Meinst du, du schaffst es bis zum Haus?«
Wie um seine Worte zu bestätigen, fegte eine weitere heftige Windböe über den Rasen und traf die alten Bäume. Über ihren Köpfen knackten Äste. Kate zuckte zusammen. Dann nickte sie. Nick nahm ihr Nell vorsichtig aus den Armen. Kate sah ihn dankbar an, bevor sie sich von Henry und Alice beim Aufstehen helfen ließ. Sie spürte die Hände ihres Vaters auf ihrem Oberarm. Er hielt sie umfasst, gab ihr Halt, beruhigte sie. Sie konzentrierte sich auf das Gehen, wobei sie ihren Blick fest auf Nick gerichtet hatte, dessen breiten Rücken sie sah, als er vor ihnen über den Rasen zum Haus ging.
Als sie in dem stillen Farmhaus angekommen waren, wies Felicity Kate an, sich auf die Couch zu setzen.
»Es geht mir gut, wirklich«, sagte Kate, fühlte sich dabei jedoch noch immer sehr unsicher auf den Beinen.
»Du musst die Füße hochlegen«, sagte Felicity mit fester Stimme. »Nick, bring Nell hierher, dann kann sie sich neben ihre Mami setzen.« Nick hob Nell hoch und setzte sie auf die Couch. Sie schmiegte sich in Kates Arme und begann dann leise zu weinen. Kate konnte nichts anderes tun, als sie festzuhalten und ebenfalls zu weinen. Einige der Trauergäste standen verunsichert im Zimmer herum und starrten sie an, bis Felicity sie alle hinausscheuchte.
Nur Alice, Nick, Felicity und Henry blieben im Wohnzimmer, während Annabelle mit besorgtem Gesicht im Türrahmen stand und wartete. Nick, Alice und Henry standen schweigend vor Kate und Nell und wussten offensichtlich nicht, was sie tun oder sagen sollten. Nur Felicity lief zielstrebig hin und her, um Kate ein Glas Wasser und etwas Gerstenzucker zu bringen.
Schließlich sagte eine kleine piepsige Stimme unter der Decke: »Blöde Bäume!« Alle lachten. Ihre Beziehungen zueinander waren für kurze Zeit wieder gekittet. Kate setzte sich auf. Sie sah, dass ihr Vater sie anlächelte. In diesem Moment war dieses Band der Liebe zwischen
ihnen wieder da. Dessen war sie sich ganz sicher. Kaum war es jedoch geknüpft, meldete sich Annabelle zu Wort.
»Also, da offensichtlich alle heil und gesund sind, sollten wir uns jetzt besser auf den Weg machen, Henry, mein Liebling. Ich habe mit Janie gesprochen, Kate. Sie wird dich nach Hause fahren.«
»Nach Hause«, wiederholte Kate geistesabwesend, da ihr aufgrund des Schocks das Denken noch immer schwerfiel. »Danke.«
Alice wandte sich jetzt an Annabelle und Henry, wobei die ihre Hand sanft auf Henrys Oberarm legte.
»Vielen Dank für Ihre Unterstützung. Ich weiß es wirklich sehr zu schätzen, dass Sie zur Beerdigung meines Mannes gekommen sind. Lance hat immer sehr freundlich von Ihnen gesprochen, Henry. Von Laney war er geradezu begeistert. Er sagte oft, dass sie eine Schönheit war«, fügte Alice augenzwinkernd hinzu. Kate wurde es warm ums Herz, als sie hörte, dass jemand in Anwesenheit von so vielen Menschen so positiv von ihrer Mutter sprach. Bevor Alice Henry und Annabelle aus dem Zimmer begleitete, fügte sie, diesmal mit lauterer Stimme als üblich, hinzu:
»Es hätte ihn bestimmt sehr gefreut, wenn er noch erfahren hätte, dass unsere Familien jetzt auf besondere Weise miteinander verbunden sind. Deshalb werden wir die Websters in Zukunft auch öfter hier bei uns begrüßen dürfen, nicht wahr? Der heutige Tag war ein Zeichen des Himmels, dass wir uns alle um unsere wunderbare kleine Enkeltochter kümmern sollen.«
Henry und Annabelle sahen sie verständnislos an. Dann aber zählten sie offensichtlich zwei und zwei zusammen, während sie ihren Blick immer wieder zwischen Nick und Nell hin- und herwandern ließen, und ihnen wurde klar, was Alice meinte. Alice schien ihre Überraschung und Verblüffung nicht zu bemerken, vielleicht wollte sie das auch gar nicht. Jedenfalls fuhr sie unbeirrt fort.
»Jetzt, da Lance nicht mehr unter uns ist, ist es ein Segen, dass uns eine Enkeltochter geschenkt wurde. Nell ist ein wunderbares Kind. Unser Herrgott kennt vielerlei Wege der Heilung, und Nell ist genau das: ein Heilmittel für uns alle. Es ist jetzt unsere Aufgabe, ihr dabei
zu helfen, ihren Weg im Leben zu finden. Da stimmen Sie mir doch sicher zu?« Dann
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