Australien 01 - Wo der Wind singt
war der Mond auch so nah erschienen.
In jener Nacht hatte er unter der dunklen, nach Diesel und Öl stinkenden Abdeckplane eines Pick-ups gelegen und zum Mond hinaufgesehen. Sein Bruder Angus hatte die Plane schließlich zurückgeschlagen und Nick von der Ladefläche des Pick-ups heruntergeholfen, die mit Kühlboxen und zusammengerollten Schlafsäcken beladen gewesen war.
»Vergiss nicht, Nick, heute Abend bist du achtzehn, okay? Wenn dich also irgendeiner von den Kerlen hinter der Bar komisch ansieht, tauchst du einfach in der Menge unter und hältst dich für eine Weile bedeckt. Dann wird dir schon nichts passieren.«
Nick stand auf der kurz geschnittenen Weide, wo Superphosphat-Dünger wie gerade gefallene Hagelkörner im Mondlicht schimmerte. Er zupfte an dem für seinen mageren Körper viel zu weiten Anzug herum, als die hämmernde Musik aus der großen Scheune, in der normalerweise Schafe geschoren wurden, durch seinen Körper vibrierte. Der köstliche Duft von am Spieß gebratenem Hammel- und Schweinefleisch lag in der Luft. Viele Reihen von Autos und Pick-ups glitzerten im Licht des Mondes. Hinter ihnen bewegten sich Gestalten wie Ghule über die Koppeln. Ein paar Betrunkene torkelten herum, so dass es aussah, als würden sie sich an Deck eines Schiffes auf hoher See befinden.
»Und jetzt, kleiner Bruder, kommen die Regeln«, sagte Angus. Er legte Nick seine Hand, die so groß wie ein Speiseteller war, auf die Schultern und beugte sich dann hinunter, um seinem aufgeregten, jüngeren Bruder in die Augen zu sehen.
»Regel Nummer eins: Wenn du dich besäufst und kotzen musst, bleib weg von meinem Pick-up und von meinem Schlafsack. Kapiert? Regel Nummer zwei: Wenn du ein Mädchen aufreißt und es zur Sache geht, dann benutz eins von denen hier.« Angus drückte ihm eine zerknitterte Plastikfolie mit einem Kondom in die Hand. »Regel Nummer drei: Wer was isst, der mogelt. Mit diesen Worten gab er Nick eine Dose Bundy-Rum. Das kalte Aluminium fühlte sich in Nicks Hand gut an.
Angus zeigte auf die hell erleuchtete Scheune »Willkommen im B&S-Land, kleiner Bruder!«
Nick starrte zu der riesigen, weißen Mondscheibe am Himmel hinauf, während er einen kräftigen Schluck Rum trank. Er spürte, wie der hochprozentige Alkohol scharf wie Kies in seiner Kehle kratzte. Dies war sein erster B&S. Sein Herz raste. Während er noch einmal seine viel zu große Jacke zurechtzog, schlurfte er hinter seinem älteren Bruder auf das hell lodernde Lagerfeuer und die Scheune zu.
Kate lehnte in ihrem roten Seidenkleid am Bullenfänger von Wills Subaru Pick-up und zog ihre hochhackigen Schuhe aus. Sie hängte die Schuhe an den Rückspiegel und schlüpfte dann in ein Paar Hockeysocken und ausgelatschte Blundstone-Stiefel. Dann wartete sie ungeduldig darauf, das ihr Bruder mit dem Pinkeln fertig wurde.
»Bist du endlich so weit?«, fragte sie schließlich.
»Ja, es kann losgehen«, sagte Will und nahm sein Bier, das er auf der Motorhaube abgestellt hatte. Sie gingen zuerst an den langen Reihen von geparkten Autos vorbei und dann über die holprige Koppel auf den hämmernden Lärm zu, der aus der Scheune kam.
Zu ihrer Rechten war ein blaues Zelt aufgebaut, das wohl von einer Viehhandelfirma ausgeliehen worden war. In dem Zelt standen mit Speisen beladene Tapeziertische. Mit Butter bestrichene Scheiben
Weißbrot waren zu hohen Türmen aufgestapelt. Große Schüsseln mit Kartoffelsalat und grob geschnittenem, schwerem Krautsalat reihten sich aneinander. Auf silbernen Wegwerftabletts stapelte sich das Fleisch. Einige Mädchen saßen im Schneidersitz auf dem Boden und aßen manierlich von Tellern, während diejenigen, die schon betrunkener waren, ihr Fleisch einfach in der Hand hielten und es nach Art der Wikinger mit den Zähnen von den Knochen rissen. Als Kate und Will vorbeikamen, zerstreute sich die Schlange von hungrigen Gästen für kurze Zeit, als ein junger Hitzkopf seinem Kumpel eine ganze Schüssel Krautsalat über den Kopf kippte. Kate lächelte, als sie sah, wie der Junge sich die Mayonnaise aus den Augen wischte und ganze Hände voll geriebener Karotten und Kohl in die Menge warf. Es war erst acht Uhr, aber einige der Leute waren jetzt schon außer Rand und Band.
»Schauen wir erst einmal, was die Bar zu bieten hat, und holen uns dann etwas zu essen«, schlug Will vor. Kate nickte. Die beiden gingen weiter. Ein riesiges Lagerfeuer sprühte Funken in den nächtlichen Himmel. Die Leute standen in Gruppen herum, tranken
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