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Australien 01 - Wo der Wind singt

Australien 01 - Wo der Wind singt

Titel: Australien 01 - Wo der Wind singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Treasure
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heißt das noch lange nicht, dass du das Recht hast, über mich zu urteilen! Ich hatte nämlich nie eine Wahl!« Kate zog ihre Decke bis unters Kinn hoch.
    »Mich selbst in einen Käfig sperren! Du weißt genauso gut wie ich, dass ich in einem Käfig saß, bevor ich Dave kennen gelernt habe, nicht danach! Du konntest wenigstens die Schule fertig machen! Das Studium war hart für dich, das gebe ich zu. Aber du hattest wenigstens eine Mutter, die dir immer wieder gesagt hat, dass du intelligent bist. Ich habe nicht einmal gewusst, wie ein Buch überhaupt aussieht. Also halte mir keinen Vortrag darüber, wer hier eine Wahlmöglichkeit hatte. Wir haben die Herausforderung in jener Nacht beide angenommen. Erinnerst du dich?«
    »Mich erinnern?«, fauchte Kate. »Wie könnte ich das je vergessen?« Sie zog sich die Bettdecke über ihren Kopf. Janie stand auf und sah auf den Umriss ihrer Freundin hinunter.
    »Gute Nacht, Kate«, sagte sie schließlich, schaltete das Licht aus und verließ das Zimmer.
    Als sich Kates Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, stellte sie fest, dass bleiches Mondlicht unter ihre Bettdecke drang. Es war gerade hell genug, dass sie das wie im Wahnsinn grinsende Gesicht von Mickymaus auf dem Kissen erkennen konnte. Plötzlich wünschte sie sich, dass Janie sich für den Wiggles-Bettbezug entschieden hätte. Sie schob die Decke zurück und sah zum Mond hinauf, der in der oberen linken Ecke des Fensters zu sehen war. Auch am Abend des Rouseabout B&S hatte der Vollmond am Himmel gestanden. Der Abend, an dem sie Nick zum ersten Mal gesehen und an dem sie zum ersten Mal dieses Kleid getragen hatte.

    Kate strich das Kleid aus kirschroter Seide über ihren Hüften glatt und griff nach hinten, um den Reißverschluss zu schließen. Wenn ihre Mutter
noch da gewesen wäre, hätte sie den Reißverschluss hochgezogen und sich dabei lachend darüber beschwert, dass dieses Kleid viel zu kurz und der Ausschnitt viel zu tief sei. Dann aber hätte sie ihr einen Kuss gegeben und ihr gesagt, dass sie trotzdem ausgehen und sich amüsieren solle. Kate seufzte und wünschte sich, dass ihre Mutter da gewesen wäre und ihr gesagt hätte: »Wenn du schon nicht brav sein kannst, dann sei wenigstens vorsichtig.« Aber ihre Mutter war nicht da, um die kleinen Silberzähnchen des Reißverschlusses zu schließen, der sich an Kates Rückgrat schmiegte. Ihre Mutter war tot. Kate dachte an ihre Mutter, die jetzt in ihrem dunklen Sarg unter dem schwarzen Lehmboden des örtlichen Friedhofs lag. Der schiere, nackte Kummer packte sie so unvermittelt, dass sie sich am Waschbecken festhalten musste. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie in ihr Gesicht im Badezimmerspiegel. Eine jüngere Ausgabe ihrer Mutter starrte sie an.
    »Da hast du dich aber fein herausgeputzt, Webster«, sagte sie voller Sarkasmus zu ihrem Spiegelbild und wusste dabei, dass ihre strahlende Erscheinung nur den Aufruhr in ihrem Inneren verdecken sollte. Der B&S-Ball an diesem Abend war eine Gelegenheit, sich so zu betrinken, dass sie den Schmerz der letzten Wochen nicht mehr spüren würde. Der Rouseabout! Ein ›Bachelor and Spinsters’‹-Ball, ein Ball für junge Leute. Der Fahrschein ins Vergessen.
    Als Kate gerade sechzehn Jahre alt geworden war, hatte Will sie zu ihrem ersten Ball geschmuggelt. Ihre Mutter hatte nicht versucht, sie davon abzuhalten. Sie hatte Will nur mit ruhiger Stimme ermahnt, auf seine Schwester aufzupassen und ihrem Vater nichts zu sagen. Sie würde sie decken. So war Laney eben: bereit, ihnen beiden bedingungslos zu vertrauen und auch bereit, ihnen die Freiräume zu geben, die sie brauchten. In ihren Augen sollte man sein Leben nicht nur einfach leben, man sollte es genießen, es in sich aufsaugen, herausfordern und man sollte Gelegenheiten beim Schopf packen.
    Kate wandte sich vom Spiegel ab und wappnete sich innerlich, bevor sie ins Wohnzimmer ging, um ihrem Vater gegenüberzutreten. Er saß in seinem dick gepolsterten Klubsessel, seine Füße lagen auf einem alten, ramponierten Lederhocker. Sein Gesicht war hinter dem
Tasmanian Country , den er mit ausgestreckten Armen vor sich hielt, verborgen.
    »Also dann, tschüs«, sagte Kate und hoffte dabei, dass er irgendetwas zu ihr sagen würde. Stattdessen ließ er die Zeitung sinken, musterte sie in ihrem kurzen, roten Kleid, schüttelte dann langsam den Kopf und hob die Zeitung schließlich wieder vor sein Gesicht.
    »Dad«, sagte sie und streckte die Hand aus, um seinen Arm zu berühren.

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