Australien 01 - Wo der Wind singt
sie grasten zufrieden auf der großen Koppel.
Kate hatte zwar nie selbst an einem Reitturnier teilgenommen, sie liebte jedoch den prachtvollen Anblick dieser verhätschelten Pferde, wenn sie mit ihren gebogenen, glänzenden Hälsen und wehenden Schweifen durch die Arena galoppierten. Sie hätte liebend gern etwas mit ihren eigenen Pferden gemacht, etwa in einer Polocrosse-Mannschaft gespielt. Im Augenblick jedoch musste sie auf das Reiten verzichten, da ihr neuer Job ihre gesamte Zeit in Anspruch nahm. Ihre Tätigkeit entsprach weitgehend der, die sie auch schon in Orange ausgeführt hatte, daher fiel ihr die Umstellung nicht besonders schwer. In ihrer Rolle als Landwirtschaftsberaterin fühlte sie sich durchaus wohl. Auch wenn sie und Nell nicht mehr auf Bronty lebten, war sie immerhin zu Hause. Hier auf dieser Insel. Janie holte Nell jeden Morgen bei ihr ab und integrierte sie dann einfach in den Tagesablauf ihrer Zwillinge. Kate arbeitete täglich bis etwa fünf Uhr, dann ging sie zum Haupthaus hinüber, um Nell abzuholen. Nell spielte dann stets
fröhlich mit den Zwillingen, schob einen Kinderwagen durch die Gegend, fuhr auf dem Dreirad oder sah sich ein Bilderbuch an. Kate fiel auf, dass Janie in letzter Zeit weniger erschöpft aussah.
»Sie geht so geschickt mit ihnen um«, hatte Janie schon nach der ersten Woche geschwärmt. »Ich muss jetzt nicht mehr ständig irgendwelche Streitereien zwischen den beiden schlichten. Sie schafft es irgendwie, sie stundenlang zu beschäftigen. Wenn ich mich um einen der beiden kümmern muss, lenkt Nell den andern ab. Hinzu kommt, dass ich nicht mehr so einsam und allein bin. Ich weiß, dass du in der Nähe bist und ich jederzeit mit dir plaudern kann. Eigentlich sollte ich dich und Nell bezahlen!«
»Ich bin wirklich froh, dass wir beide von unserer kleinen Vereinbarung profitieren«, hatte Kate ihrer Freundin geantwortet.
Jetzt wandte Kate ihre Aufmerksamkeit wieder dem Ausstellungsgelände der Landwirtschaftsschau von Campbell Town zu. Gerade hielten mehrere Viehtransporter vor dem riesigen Pavillon aus Wellblech an, in dem die Schafe untergebracht werden sollten. Die Männer schlugen die Abdeckplanen zurück, so dass jetzt die prachtvollen Merino-Böcke mit den gedrehten Hörnern, die für die Show herausgeputzt waren, zu sehen waren. Der Pavillon erwachte mit dem Scheppern der Blechtore und dem tiefen Blöken der Schafe zum Leben, als man die Tiere in Pferche mit dicken Lagen goldenen Strohs trieb. Neben dem Schafpavillon stand der Kaffeewagen, vor dem sich eine Schlange noch ziemlich verschlafen aussehender Aussteller gebildet hatte, die offensichtlich darauf hofften, schon bald ihre Finger an einem Pappbecher mit heißem Milchkaffee wärmen zu können. Der einladende Duft frisch gerösteter Kaffeebohnen zog auch in den Pavillon der Heimindustrie, wo die betreffenden Damen bereits erbittert darüber diskutierten, wessen Handarbeit an welchem Platz ausgestellt werden sollte.
Kate versuchte die Szenerie in sich aufzunehmen, während sie Wills jungem Kelpie BH den Rücken streichelte. Der Hund drückte sich gegen Kates Hand, krümmte dabei den Rücken wie eine Katze. Es war schön, ihn einmal allein dabeizuhaben, dachte Kate, ohne dass die alte Sheila und Grumpy BHs Aufmerksamkeit ständig auf sich zogen.
Im Lauf der vergangenen Wochen hatte Kate BH besser kennen gelernt. Wenn sie die Zeit dazu gefunden hatte, hatte sie Dave und Janie bei der Arbeit auf der Weide geholfen und BH mitgenommen. BH war eine flinke kleine Hündin mit braunrotem Fell und hellen Knopfaugen. Besonders auffallend war ihre Lernfähigkeit. Obwohl Kate bislang noch nicht viel mit ihr arbeiten konnte, hatte sie sich vorgenommen, sie heute an den Prüfungen teilnehmen zu lassen, so wie Will es ursprünglich geplant hatte. Das hieß, falls ihre Chefin ihr heute eine Stunde freigeben würde.
Kate sah, wie ein weißer Kombi am Tor anhielt. Als das Fenster heruntergekurbelt wurde, sah Kate, dass das Lisa, ihre neue Chefin war. Kate trat einen Schritt hinter ihrem Pick-up hervor.
»Das ist sie«, sagte sie zu BH. »Jetzt sitz und bleib. Sei ein braver Hund.« BH klopfte als Antwort mit ihrer Rute laut gegen die Ladefläche des Pick-ups. »Morgen!«, rief Kate, als Lisa auf sie zufuhr. »Hattest du eine gute Fahrt von Hobart hierher?«
Lisa schälte sich hinter dem Lenkrad hervor. Ihre marineblaue Hose schlug auf ihren pummeligen Oberschenkeln Querfalten.
»Ein bisschen frostig«, sagte sie und griff
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