Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
Vom Netzwerk:
zugeschossen kam und mit dem Finger einen der Messingknöpfe an seiner Jacke berührte, so vorsichtig, als könnte er sich daran verbrennen. Nachdem er gemerkt hatte, dass der Knopf nicht biss, verlor er alle Scheu, hüpfte um Rooke herum, zupfte ihn am Ärmel und bombardierte ihn mit Fragen, sinngemäß vermutlich Ähnliches wie: Was sind das für Dinger? Wofür braucht man die? Wo hast du die her? Kann ich eins davon haben?
    Auch die Frauen wurden nun mutiger, nahmen verschiedene Gegenstände in die Hand und hielten sie in die Höhe, damit die anderen sie sahen, wie Waren auf einem Markt, die sie anpreisen wollten. Schließlich sagten sie etwas zu Rooke und fanden es offenbar urkomisch, die paar Worte auszusprechen, die sie von den Leuten in der Siedlung gelernt haben mussten: »Goodbye! Goodbye! Wie geht’s? Mister! Missus!«
    »Guten Morgen, meine Damen«, erwiderte Rooke, worauf sie noch mehr lachten. »Mir geht es sehr gut, danke, und wie geht es Ihnen?«
    Seine Rasiersachen lagen auf dem Tisch, und eine der Frauen – hochgewachsen, mit üppigen Formen, so prächtig in ihrer Nacktheit, dass Rooke ein bisschen verlegen wurde – nahm sein Rasiermesser in die Hand und klappte es auf. Als er erschrocken einen Satz durch die Hütte machte, um es ihr zu entreißen, schlug die übermütige Stimmung schlagartig um. Rooke versuchte ihnen zu demonstrieren, wie scharf die Klinge war, nahm einen der Zweige, die neben seiner Feuerstelle lagen, und schnitt ihn damit durch. Weil er instinktiv das Gefühl hatte, dass Worte weniger beängstigend waren als Schweigen, gab er dazu Erklärungen ab wie: Scharf, sehen Sie, sehr scharf, damit kann man alles durchschneiden, ich verwende es zum Rasieren, sehen Sie?
    In der Hütte, in der es mit nur einem Fenster ohnehin nie sonderlich hell war, wurde es auf einmal richtig düster. Rooke sah, dass dunkle, tiefhängende Wolken aufgezogen waren, und dann begann es auch schon zu schütten. Dicke Tropfen trommelten mit einer solchen Wucht auf die Schindeln, dass sie klapperten. Der Geruch von kalter feuchter Erde stieg vom Boden auf.
    Rooke ging zur Tür und schaute hinaus. Der Regen klatschte so heftig gegen die Felsen, dass eine Art Gischt entstand. Die Zweige der Sträucher peitschten hin und her, das Wasser unten im Hafen war fast nicht mehr zu sehen, der Regen so dicht wie Nebel. Rooke ließ sich die Hand nassregnen und streckte sie seinen Besuchern hin.
    »Wie nennt man das – was heißt bei Ihnen nass ?«
    Die zwei kleinen Mädchen hatten sich bis jetzt im Hintergrund gehalten, doch nun trat eine der beiden vor und berührte mit der Spitze ihres Zeigefingers Rookes Hand. Rooke sah ihr ins Gesicht. Sie war vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, mager und aufgeweckt, mit einem langen, schön geformten Hals und einem beweglichen, ausdrucksvollen Gesicht. Rooke glaubte bei ihr dieselben spontanen Regungen wahrzunehmen, die auch er verspürte: erwartungsvolle Neugier, gedämpft durch Bedachtsamkeit, das Verlangen, das Unbekannte zu erforschen, im Zaum gehalten durch die Angst, dabei etwas falsch zu machen.
    Sie sah ihm offen in die Augen und zog dabei eine Schnute, die zu gleichen Teilen Frustration und Belustigung ausdrückte. Rooke spürte, wie sich sein Mund ebenfalls verzog, und merkte, dass sie ihn aufmerksam musterte – seine Augen, seinen Mund, seine Miene – und genauso in seinem Gesicht zu lesen versuchte wie er in ihrem.
    Sie war wie Anne mit zehn oder zwölf Jahren, kam ihm prompt in den Sinn. Mit ihrer dunklen Haut und nackt, wie sie war, hatte sie natürlich überhaupt nichts mit Anne gemein, und trotzdem erkannte er seine Schwester in ihr: alt genug, um einem anderen Menschen bewusst in die Augen blicken zu wollen, und noch jung genug, um keine Angst zu empfinden.
    Noch einmal berührte sie seine Handfläche, diesmal mit allen fünf Fingern, strich über die Haut, als wolle sie testen, wie sie sich anfühlte. Über das Regengeprassel hinweg sagte sie etwas zu ihm. Wie ein Tauber sah er ihr auf ihre Lippen, während sie sprach. Dann verstummte sie und wartete, die Zähne auf der Unterlippe, was deutlicher als Worte besagte: Und? Was sagst du dazu?
    Angestrengt versuchte Rooke, ein paar dieser Laute voneinander zu trennen und wählte zwei, die er deutlich genug herausgehört hatte, um sie nachsprechen zu können.
    »Mar-ray« , sagte er zögernd.
    Sie strahlte über das ganze Gesicht. Auf den ersten Blick hatte er geglaubt, ihre Augen wären schwarz, doch nun erkannte er,

Weitere Kostenlose Bücher