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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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langsam, bis der formlose Laut in Silben aufgespalten war: Ta-ga-ran .
    Das Wort, das er herausbrachte, klang immer noch nicht genauso wie ihres. Aber sie strahlte übers ganze Gesicht vor Freude, ihren Namen aus dem Mund dieses Fremden zu vernehmen und diejenige gewesen zu sein, die es ihm beigebracht hatte.
    Ihren Namen und die beiden anderen Äußerungen hatte Rooke nun zwar im Kopf, doch als reine Laute ohne Sinnzusammenhang würde er sie bald wieder vergessen haben. Sie bedeuteten nicht Wind oder Wetter oder Barometer , hatten aber etwas mit dem hiesigen Klima zu tun und waren folglich Daten, die er aufzeichnen sollte.
    Rooke nahm ein unbenutztes Notizbuch vom Regal und spürte, als er sich an den Tisch setzte, wie das Mädchen ihm zusah. Er tauchte die Feder in die Tinte und schlug das Notizbuch auf. In seiner ordentlichsten Astronomenhandschrift schrieb er auf die erste Seite: Tagaran, der Name eines Mädchens. Marray, nass. Paye wallan ill la be – er zögerte –, starken Regen betreffend.
    Dann las er ihr die Worte stockend und mit dem Finger auf die jeweilige Silbe deutend, noch einmal vor. Sie lächelte, das ganze Gesicht war ein einziges Strahlen.
    Plötzlich rief die alte Frau etwas aus. Vielleicht so etwas wie Kommt, Kinder, Zeit zu gehen , denn kurz darauf brachen sie und die beiden Mädchen auf. Am Fuße der Felsen drehte Tagaran sich noch einmal um.
    »Yenioo! Yenioo!« , rief sie.
    »Goodbye! Auf Wiedersehen!«, rief er zurück. Was sonst konnte sie gemeint haben?
    »Kommt wieder«, rief er. »Kommt bald wieder, ihr seid hier jederzeit willkommen!«
    Aber sie waren schon fort. Seine Worte erreichten nur die im Wind hin und her wogenden Sträucher.
    ✳
    Nachdem sie gegangen waren, kam ihm die Hütte, so klein sie auch sein mochte, größer und leerer vor. Auf dem Bett lag sein Montaigne, in dem die Frau geblättert hatte. Die Decke war an der Ecke, wo die große, stattliche Frau sie angehoben und an ihre Wange gehalten hatte, zerknittert.
    In der Stille klang das vom Dach tropfende Wasser sehr laut.
    » Marray , nass«, sagte Rooke laut. » Paye wallan ill la be , starken Regen betreffend.«
    Dann zog er fein säuberlich eine Linie quer über das Blatt. Sie bedeutete: Das ist alles, was ich weiß . Die weiße Fläche darunter wartete auf weitere Eintragungen. Er dachte an Silks Notizbuch mit der ähnlichen, aber umfangreicheren Wörterliste. Budyeri , gut. Bogul , Maus.
    Eine Sprache war jedoch mehr als eine Wörterliste, mehr als eine Sammlung von Einzelteilen kunterbunt durcheinander wie eine Schachtel voller Muttern und Schrauben. Eine Sprache war eine Maschine. Damit sie funktionierte, musste man wissen, wie die jeweiligen Teile zusammenwirkten.
    Für diese Aufgabe brauchte man einen Menschen, der mehr konnte, als Wörter zu sammeln und auswendig zu lernen. Dazu brauchte man jemanden, der es verstand, die Maschine zu zerlegen, um zu sehen, wie sie funktionierte, und sie dann in Gebrauch nehmen konnte: Einen Mann, dem Systematik vertraut war, einen Mann der Wissenschaft.
    Während Rooke auf die Wörter blickte, die er sich notiert hatte, wusste er – genauso wie er eine Primzahl auf Anhieb erkannte –, dass er dieser Mann war.
    Und alles in seinem bisherigen Leben hatte darauf zugeführt. Er sah es so deutlich vor sich wie eine Landkarte, die Landkarte seines Lebens und seines Charakters. Er war geboren worden mit dem Drang zu verstehen, wie die Dinge funktionierten. Er konnte fünf Sprachen lesen. Das Unbekannte war sein tägliches Brot: Die Astronomie war ein Beruf voller Geheimnisse. Andersartiges hatte für ihn nichts Beängstigendes. Er wusste, dass Fremdartigkeit eine alltägliche Sache war, wenn man sich in ihr heimisch fühlte.
    Vor allen Dingen hatte er genau die richtige Veranlagung für eine solche Aufgabe. Die Eigenschaften, die ihn zu einem so schüchternen Menschen machten, waren genau die richtigen Voraussetzungen, um ein guter Zuhörer zu sein.
    Rooke wusste es mit derselben Gewissheit, wie er seinen Namen wusste, dass dies in New South Wales genau die richtige Aufgabe für ihn war: Die Sprache der Eingeborenen zu erlernen.
    Nachdem er im Geiste so weit gegangen war, spann er den Gedanken noch weiter aus und stellte sich vor, wie er eines Tages seine Jacke bürsten und sich sodann mit dem Notizbuch in der Hand zum Haus des Gouverneurs begeben würde. Sir , würde er sagen. Oder vielleicht besser Eure Exzellenz. Silk hatte ihm einmal gesagt, dass sich der Gouverneur gerne mit

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