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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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von der Hand baumelte, stand Brugden, der Wildhüter, mitten auf der Straße und sah den Eingeborenen entgegen. Als sie ihn erblickten, wichen sie zur Seite, ob seinetwegen oder aus purem Zufall, konnte Rooke nicht sagen.
    Sie gingen zur Hütte eines Mannes hinüber, den Rooke kannte, Barber – Barbier – mit Namen und von Beruf. Auf einem Stuhl vor seiner Tür saß ein frisch eingeseifter Soldat mit einem Handtuch über den Schultern. Barber, der gerade mit dem Rasiermesser durch den weißen Schaum strich, hielt mitten in der Bewegung inne und starrte zu den herankommenden nackten Männern hin. Der Grauhaarige neigte den Kopf und bedeutete ihm mit einer kleinen Handbewegung, ruhig weiterzumachen. Barber strich daraufhin flink mit dem Messer über das Gesicht seines Kunden und hielt dabei mit der anderen Hand – mit geziert abgespreizten Fingern – dessen Nasenspitze fest, damit er den Kopf nicht bewegte.
    Rooke beobachtete die Eingeborenen, während diese aufmerksam die ganze Prozedur verfolgten. Ihnen war keinerlei Beunruhigung oder Besorgnis anzumerken. Fast kam es ihm vor, als wären die Weißen Schausteller, die den Schwarzen zu deren Unterhaltung eine Vorführung gaben.
    Der Barbier schien es ähnlich zu empfinden. Als er mit der Rasur fertig war, zog er mit dem eleganten Schwung eines Artisten blitzschnell das Handtuch vom Nacken des Soldaten. Der frisch Rasierte sprang vom Stuhl auf und setzte sich nun ebenfalls vor dem Publikum in Szene, klopfte sich in clownesker Weise auf die Wangen, um den Eingeborenen zu demonstrieren, wie glatt seine Haut war, und forderte sie auf, doch selbst mal zu fühlen, was sie aber nicht taten.
    Der Barbier gab einem der Männer mit Handzeichen zu verstehen, dass er sich als Nächster auf den Stuhl setzen solle, und hielt einladend sein Handtuch bereit. Der Mann verstand ganz genau, was er meinte, lachte und strich sich über die schwarze Wolle in seinem Gesicht. Er schien versucht, das Angebot anzunehmen, doch ein anderer Eingeborener prüfte mit dem Daumen die scharfe Stahlklinge und riet ihm offenbar davon ab.
    Willstead gesellte sich zu der kleinen Gruppe.
    »Meine Güte, das sind wirklich richtige Wilde«, stellte er fest. »Und wie schmutzig sie sind, seht euch mal den Dreck an, der an ihnen klebt.«
    Rooke merkte, dass die Männer Willsteads spöttischen Tonfall wahrnahmen. Der Ältere sagte etwas zu den anderen, woraufhin sie alle weiterzogen.
    »Ja, Rooke«, sagte Silk und blickte ihnen nach. »Endlich ist es eingetreten! Wurde auch höchste Zeit, denn das literarische Potenzial des Ziegelbrennens und des Straßenbaus habe ich mittlerweile zur Gänze ausgeschöpft. So Gott will, eröffnet sich mit dem heutigen Tag ein neues Kapitel über das Leben in Sydney Cove.«
    »Na bravo«, sagte Rooke.
    »Jetzt geht’s endlich voran, und Mr. Debrett vom Piccadilly wird doch noch seine spritzige Erzählung bekommen.«
    Rooke nickte nur deshalb, weil Silk es erwartete. Er selbst konnte nicht verstehen, dass jemand in einem Augenblick, der so unglaublich war wie ein Stern, der sich von seiner Position bewegt hatte, nur daran dachte, daraus eine Geschichte zu machen. Ihm wurde jetzt bewusst, wie unterschiedlich Silk und er in Wirklichkeit waren. Silks eigentliche Triebfeder war, das Fremde vertraut zu machen und in wohlgeformte, geschliffene Sätze umzuwandeln.
    Für ihn selbst hingegen bestand der Reiz gerade darin, in diese Fremdheit einzudringen und sich darin zu verlieren.


    A ls Rooke am nächsten Morgen in die silbriggraue Morgendämmerung hinaustrat, sah er oben auf dem Hügelkamm die Umrisse zweier Gestalten, die sich dunkel gegen den Himmel abhoben: unverkennbar zwei Eingeborene, die zu seiner Hütte herunterblickten.
    Seit seiner Begegnung mit den Fischern vor etlichen Monaten hatte er sein fröhliches Guten Tag! und sein albernes aufgesetztes Lächeln bereut. Er hatte sich inzwischen eine Strategie zurechtgelegt, wie er ihnen ohne Worte zu verstehen geben konnte, dass sie ihm willkommen waren, und probierte das nun aus. Er warf den Männern einen langen Blick zu, der besagte: Ich habe euch gesehen . Danach setzte er sich so an die Hüttenwand, dass er ihnen nicht direkt zugewandt war, ihnen aber auch nicht den Rücken zukehrte. Dann wartete er.
    Ungeduldig hoffte er, dass sie näherkamen, und konnte kaum dem Drang widerstehen, zu ihnen hinaufzublicken. Zur Ablenkung betrachtete er die von der aufgehenden Sonne im Osten erleuchteten Wolken und versuchte sich

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