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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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dass sie tiefbraun waren. So offen in die Augen eines anderen Menschen zu blicken, kam ihm genauso gefährlich vor wie ein Sprung aus großer Höhe. Er staunte über sich selbst, dass er sich das traute.
    »Marray« , sagte sie erneut und deutete mit dem Kinn auf den Regen. Jetzt erst bemerkte Rooke, dass Warungin und die anderen Männer fortgegangen waren, vermutlich, um irgendwo Schutz zu suchen. Er machte sich Vorwürfe, dass er nicht daran gedacht hatte, sie hereinzurufen, als es zu regnen begann.
    Marray . Was bedeutete das? So etwas Ähnliches wie nass ?
    Er fand es peinlich, so dicht neben ihr zu stehen, ohne etwas zu sagen, während der Regen wie ein Wasserfall von den Schindeln über der Tür herabstürzte und auf die Erde platschte.
    »Was für ein Wolkenbruch!«, rief er laut, um das Geprassel zu übertönen. »Hast du schon jemals solch ein Wetter erlebt?«
    Sein Gerede klang erbärmlich nach müßigem Geplauder, wie es in den Salons üblich war, stellte er fest. Wenn es angebracht war, bekam er das nur selten hin, doch hier plauderte er auf einmal genauso mühelos wie Silk – vor einer Zuhörerschaft, die aus sechs nackten Frauen und Kindern bestand, von deren Sprache er bislang nur ein einziges Wort verstand.
    Mit offenem Blick, furchtlos und selbstsicher wie ein Mädchen, das bereits alle sozialen Fähigkeiten beherrscht, die in ihrer Welt verlangt werden, sah sie ihn an.
    »Paye-wallan-ill-la-be.«
    Rooke merkte, dass sie bewusst langsam sprach, damit er es einfacher hatte. Er versuchte, die Laute in Silben umzuwandeln, kam jedoch über die ersten paar nicht hinaus. Langsam wiederholte sie jede Silbe, und er sprach sie ihr nach. Es war, als würde man bei der Hand genommen und Schritt für Schritt durch die Dunkelheit geführt.
    »Paye-wallan-ill-la-be.«
    Selbst als er es endlich geschafft hatte, war es noch immer keine perfekte Kopie. Es fehlte das Verschliffene in der Aussprache des Wortes, es musste halb genuschelt oder verschluckt werden. Er konnte es zwar hören, bekam es aber einfach nicht hin, den Mund so zu bewegen, dass dieser Klang entstand.
    Trotzdem lächelten und nickten sie ihm alle zu und riefen Worte aus, die wohl so etwas Ähnliches bedeuteten wie Gut gemacht! Gratulation! , vermutete Rooke.
    Das war also das Wort, vielleicht auch mehrere Wörter. Doch was bedeutete es, bedeuteten sie? Es musste etwas mit dem Regen zu tun haben, aber was genau? Was für ein Wolkenbruch! Hast du schon jemals solch ein Wetter erlebt?
    Auf einmal ließ der Regen nach und hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte. Der kleine Junge drängte sich an Rookes Beinen vorbei ins Freie. Zwei der Frauen folgten ihm in gemächlicherem Tempo. Rooke und das Mädchen sahen ihnen nach. Platschend gingen sie den Pfad hinauf, nun ein Sturzbach, in dem die Strahlen der Sonne funkelten, die schon wieder hinter den Wolken hervorkam.
    »Yen-narr-a-be« , sagte das Mädchen. »Yennarrabe.«
    »Yennarrabe« , wiederholte Rooke.
    Sie verzog den Mund, vielleicht weil es in ihren Ohren lustig klang, wie er das Wort aussprach. Sie sagten es noch ein paar Mal im Wechsel. Im Augenblick genügte es, das Echo hin und her zu werfen. Selbst ohne die Bedeutung der Wörter zu kennen, war allein die Tatsache, dass sie Worte miteinander wechselten, eine Art Botschaft: Ich möchte mit dir sprechen .
    Das Gesicht des Mädchens war so ausdrucksvoll, ihre persönliche Ausstrahlung so stark, dass Rooke instinktiv einen Schritt zurücktreten und den Blick abwenden wollte. Aber er tat es nicht. Die alte Frau schien sich in der Hütte inzwischen wie zu Hause zu fühlen, sie pustete in die Glut, um das Feuer wieder anzufachen, und nahm die Zweige entgegen, die ihr das andere kleine Mädchen aus Rookes Holzkorb reichte. Mit dem Gefühl, einen waghalsigen Sprung zu machen, legte Rooke seine Hand genau auf die Stelle seiner Brust, wo Warungin ihn berührt hatte.
    »Rooke«, sagte er. »Daniel Rooke.«
    Das Mädchen begriff sofort und sprach seinen Namen nach, auf Anhieb ziemlich gut. Dann legte sie ihre Hand auf ihren eigenen knochigen Brustkorb und sagte dabei ein paar Silben, denen er nicht ganz zu folgen vermochte.
    »Ta-ra« , sagte er zögernd.
    Das andere kleine Mädchen neben dem Kamin lachte hinter vorgehaltener Hand und äffte seinen Versuch nach.
    Rooke verdrehte die Augen und schnitt eine Grimasse, die besagte: Ja, ich bin wirklich ein Idiot, aber ein harmloser .
    Er versuchte es noch einmal, und das Mädchen wiederholte das Wort so

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