Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
Vom Netzwerk:
nötig war, um sich später ins Gedächtnis rufen zu können, was gemeint war. Als sie einmal von der Sonne sprachen – Tagaran beschwerte sich, dass er direkt davor stand und sie keine Wärme abbekam –, verwendete er aus Gewohnheit das astronomische Symbol für die Sonne, einen Kreis mit einem Punkt in der Mitte. Als sein Bleistift im Eifer des Notierens zersplitterte, verfolgte sie mit größter Aufmerksamkeit, wie er ihn mit einem Stück Schnur zusammenband.
    Eine so hektische Arbeitsweise war Rooke nicht gewohnt. Selbst ein Planet, der recht schnell die Position veränderte, ließ einem genügend Zeit für gewissenhafte Aufzeichnungen. Ohne langes Nachdenken blindlings draufloszuschreiben, war für ihn ein so schwindelerregendes Hochgefühl wie ein Rausch.
    Der Sprachaustausch verlief in beiden Richtungen. Ohne dazu Notizbücher oder mit Schnur reparierte Bleistifte zu brauchen, hatten die Eingeborenen bereits nicht nur viele englische Wörter gelernt, sondern sie sogar in ihre Sprache übernommen und ihren Grammatikregeln angepasst. Bread – Brot – hieß nun breado , nicht einfach nur ein ausgeliehenes Wort, sondern ein zu eigen gemachtes.
    Als Rooke eines Tages ganz automatisch genauso verfuhr, hatte er das Gefühl, eine weitere Grenze überwunden zu haben. Zu einer Unterrichtsstunde aufgelegt, hatte Warungin ein Wurfholz – womera – mitgebracht. Er zeigte Rooke, wie er kürzlich die mit Harz befestigte Muschelspitze – kaadian – ausgewechselt hatte. Kaadianmadiou , sagte er, und Rooke schrieb es auf: kaadianmadiou , I kaadianed it – ich habe es kaadianiert. Erst nachdem er dies aufgeschrieben hatte, wurde ihm bewusst, was er getan hatte. I kaadianed it – ein Satz, den es im Englischen bislang noch nicht gegeben hatte. Er lernte nicht nur eine andere Sprache, sondern erweiterte auch seine eigene. Eine Grenze war überschritten und ausgelöscht worden. Die beiden Sprachen vermengten sich miteinander wie Tinte mit Wasser.
    ✳
    Eines Nachmittags kam Tagaran mit Gänsehaut am ganzen Körper in die Hütte gestürmt; Wassertropfen glitzerten auf ihrer Haut und im Haar. Rooke, der gerade am Tisch saß, stand auf, doch sie stieß ihn mit ihrer nassen Hand zur Seite.
    » Ngyinadyiminga! «
    Er begriff sofort, dass sie Du stehst zwischen mir und dem Feuer! sagte, und trat zur Seite. Zitternd und mit blauen Lippen drehte sie sich vor den Flammen um sich selbst. Rooke legte Holz nach und blies ins Feuer, bis es hell loderte.
    » Bogidiou «, sagte sie, und weil bogi baden oder schwimmen bedeutete, folgerte Rooke, dass es Ich habe gebadet hieß.
    »Mein liebes Kind, das ist aber kein Badewetter!«
    Tagaran konnte seine Worte unmöglich genau verstanden haben, doch Rooke sah ihr an, dass sie am Tonfall den großen Bruder heraushörte, der glaubt, alles besser zu wissen. Sie warf ihm einen genauso verärgerten Blick zu, wie es Anne getan hatte, wenn er ihr an einem kalten Morgen riet, sich ihr wärmeres, aber hässlicheres Schultertuch umzulegen.
    Obwohl das Feuer im Rauchabzug nur so prasselte, hörte Tagaran nicht auf zu zittern, daher nahm Rooke seine Jacke vom Haken und legte sie ihr um die Schultern. Einen kurzen Moment lang spürte er ihre schmalen Schultern unter seinen Händen, spürte das Leben in ihr, ihr atmendes Ich unmittelbar neben sich. Tagaran machte eine Drehbewegung wie bei einem Menuett, fasste die Jacke am Kragen, zog sie wieder herunter und gab sie ihm zurück.
    Sofort bereute er die flüchtige Berührung ihrer Schultern. Tagaran mochte ihm wie eine kleine Schwester vorkommen, aber sie war nicht seine Schwester. Er hätte es ihr gerne erklärt: Du erinnerst mich an meine kleine Schwester . Doch reichte das aus, um diese vertrauliche Geste zu rechtfertigen?, fragte er sich sogleich. Wie würde denn er selbst reagieren, wenn sich ein Eingeborener, Warungin zum Beispiel, so dicht neben Anne gestellt und ihr die Hände auf die Schulter gelegt hätte?
    Er wich ein Stück zurück.
    »Es tut mir leid.«
    Vielleicht ließ sich die Situation ja noch retten. Er hängte die Jacke zurück an den Nagel, wobei er sich mehr Zeit ließ, als eigentlich dazu nötig war, und stellte sich an die Tür, so weit von Tagaran entfernt, wie es in der Hütte möglich war.
    Nachdem sich Tagaran vor dem Feuer noch einmal um sich selbst gedreht hatte, blieb sie mit dem Rücken zu den Flammen stehen und blickte ihn an. Er sah, wie sie überlegte, während ihr Blick von der an der Wand hängenden Jacke zu dem Mann

Weitere Kostenlose Bücher