Australien 02 - Der Sternenleser
Vorstellung noch Neid verspürt hätte. Der Dienstgrad: Irgendwo ganz weit hinten war ihm klar, dass es von Belang war, doch jetzt ließ ihn das völlig kalt.
»Verweigern kann ich mich nicht, ich kann nur hoffen, dass ich nicht allzu lang dort bleiben muss. Meine Erzählung macht gute Fortschritte, langsam komme ich richtig in Fahrt und muss bei aller gebotenen Bescheidenheit sagen, dass sie teilweise regelrecht – nun ja, ich kann sie nur als brillant bezeichnen. In Rose Hill hingegen werde ich leider nicht genügend Material bekommen. Was soll dort Interessantes passieren mit hundert stumpfsinnigen, im Boden wühlenden Sträflingen und zwanzig noch stumpfsinnigeren Soldaten als Bewacher?«
In diesem Moment kam ihm offenbar ein Gedanke, der seine Stimmung etwas aufhellte.
»Es sei denn, die Sträflinge würden einen Aufstand machen oder die Eingeborenen einen Überfall!«
Sein Tonfall verriet, dass er die Vorstellung selbst für absurd hielt.
An diesem Punkt hätte Rooke eigentlich ganz beiläufig einwerfen können: Ach, übrigens, Silk, wo du gerade von Eingeborenen sprichst – neulich waren welche bei mir zu Besuch.
Er holte schon Luft, um es zu sagen, ließ es aber bleiben. Was sich kürzlich bei ihm ereignet hatte, war mehr gewesen als nur ein Besuch von ein paar Eingeborenen . Er wusste selbst nicht, was genau es war und weshalb er niemandem davon erzählen wollte. Nur, dass es etwas Persönliches war. Zwischen ihm und Tagaran entwickelte sich irgendetwas. Wenn es unter dem wachsamen Blick von Silk wachsen müsste, würde es womöglich eine Totgeburt werden, fürchtete Rooke.
»Ich hoffe für dich, dass es keinen Aufstand geben wird. Auch keinen Überfall«, sagte Rooke. »Und ich hoffe, dass du bald wieder zurückkehren wirst. In die Zivilisation.«
Doch wenn Rooke ganz ehrlich mit sich sein wollte, war es nicht Hoffnung , was er empfand, sondern Erleichterung. Er würde seine Halbinsel und was immer sich darauf abspielen würde, für sich allein haben.
Silk nahm nicht wahr, dass seinem Freund Gedanken durch den Kopf gingen, die er nicht laut aussprach. Für ihn war das Thema Rose Hill nun beendet, und er schnitt ein anderes Thema an.
»Du hast bestimmt mitbekommen, dass die Sirius für einige Zeit nach Norfolk Island geschickt werden soll, oder? Mit deinem Freund Leutnant Gardiner.«
»Norfolk Island?« Rooke war schockiert. »Gardiner soll dorthin?«
»Allerdings«, entgegnete Silk. »Morgen wird Kapitän Barton die Segel setzen. Weil diese Insel offensichtlich fruchtbarer ist als diese Bucht, soll die Sirius einen Teil der Sträflinge dorthin verfrachten, damit hier weniger Mäuler zu stopfen sind … Mir ist klar, dass du Gardiner vermissen wirst, Rooke, aber du meine Güte, du siehst aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen!«
»Ja«, sagte Rooke. »Das heißt, nein. Das heißt, ich bin überrascht, weiter nichts.«
Gardiner ist Leutnant der Navy, sein Schiff segelt nach Norfolk Island, weiter nichts, versuchte er sich zu beruhigen. Das war in seinem Beruf eine ganz normale Aufgabe und nicht etwa eine Verbannung oder Bestrafung.
Doch wie das manchmal in Träumen geschieht, waren in seinem Kopf zwei verschiedene Gedanken miteinander verschmolzen: Gardiners riskante Freimütigkeit und die wie eine Fahrt ins Exil erscheinende Abkommandierung.
»Auch für mich ist es enttäuschend«, fuhr Silk fort. »Wie du weißt, hatte ich gehofft, aus dem guten Leutnant Einzelheiten über jenen Vorfall herauszubekommen, bei dem er dabei war. Aber genau wie du, Rooke, hat er ein besonderes Geschick, sich zu verdünnisieren.«
Sich zu verdünnisieren . Rooke hatte sich dafür beglückwünscht, dass ihm dies gelungen war, doch die Nachricht über Gardiner machte ihm wieder bewusst, wie schnell es damit vorbei sein könnte. Er hatte sich innerlich schon ziemlich weit von dienen und gehorchen entfernt. Er hatte sich eingebildet, sein eigener Herr zu sein, der mit beiden Händen von diesem neuen Ort Besitz ergriff und sämtliche dort vorhandenden Türen selbst öffnete. Doch New South Wales war keine offene Tür, und er war auch nicht sein eigener Herr. New South Wales war der Besitz von König Georg dem Dritten. Nach der Ernennung des Gouverneurs zu dessen Stellvertreter hatte James Gilbert die Oberherrschaft über jeden Mann, ob schwarz oder weiß, jeden Gegenstand, ob groß oder klein, und über alles, was in seinem Königreich stattfand.
Rooke war sich nicht bewusst, sein Handeln geplant zu
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