Australien 02 - Der Sternenleser
Hill … Du solltest vielleicht etwas vorsichtig sein.«
»Vielen Dank, Silk«, sagte Rooke. »Es ist nett von dir, als Freund zu mir zu sprechen.«
Nett vielleicht, doch was konnte Silk schon wissen, der Rookes aufgezeichnete Worte durch eine Linse der Lüsternheit gelesen hatte und Vermutungen anstellte, die so falsch waren, dass einem übel wurde?
Rooke nahm Silk die Notizbücher ab, erhob sich und stellte sie ins Regal. Dort oben, zwischen Lacailles Stelliferum und dem Nautischen Jahrbuch waren sie unsichtbar. So winzig wie eine erste lose Masche in einem Strumpf, die man kaum wahrnahm, die einem unwesentlich erschien. Doch wenn sich erst einmal alles auftrennte, war es zum Ausbessern zu spät.
✶
D ie Erde zog auf ihrer Umlaufbahn elegant ihre Runden, mit geneigter Achse – so ähnlich wie der Gouverneur, dachte Rooke –, und in der Siedlung wurde es Sommer und heiß. Obwohl Silks Besuch schon eine Woche her war, hallte er in Rooke noch immer nach. Er spürte eine Unruhe in der Luft, eine seelische Erregung.
Schon bevor Rooke sie sah, hörte er sie: Kamara! Kamara! – Tagaran mit Tugear und Worogan. So eilig hatten sie es, zu seiner Hütte zu kommen, dass sie fast die Felsen heruntergestürzt wären. Niemand sonst war dabei, keine der Frauen, keins der anderen Kinder. Nur diese drei landeten am Nachmittag vor seiner Tür, atemlos und weinend.
»Um Himmels willen, was ist los, was ist passiert?«
In einem so aufgelösten Zustand hatte er Tagaran noch nie gesehen; ihr Gesicht war tränennass, ihre Lippen bebten, ihr Atem ging stoßweise. Sie zitterte wie ein Pferd nach einem Galopp. An ihrem Arm und an ihrer Seite sah Rooke leuchtend rotes Blut.
Sie stieß einen Schwall Wörter aus, von denen er kein einziges verstand.
»Kommt rein, Mädchen, rein mit euch ans Feuer!«
Er breitete eine Decke aus, auf die sie sich setzen konnten, und warf Zweige nach. Weil er kaum etwas da hatte, was er ihnen anbieten konnte, goss er jeder von ihnen eine Tasse Wasser ein und brach von dem harten Schiffszwieback, der eigentlich sein kärgliches Abendessen hätte sein sollen, für jede ein Stück ab, worauf für ihn selbst nur noch ein Bissen übrig blieb. Tugear saß schluchzend und mit angezogenen Knien auf dem Boden und rührte weder das Wasser noch das Stück Zwieback an.
Als Tagaran tief Luft holte, damit sich ihr Atem beruhigte, musste sie laut hicksen, dann noch ein zweites Mal. Sie lächelte schief und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hickste noch einmal, und schlagartig war der Anfall vorbei. Tugear lachte und schlug Tagaran auf den Rücken, bis diese den Ellbogen hob, damit sie aufhörte.
»Jetzt erzählt mal, Mädchen. Was ist passiert? Was hat das alles zu bedeuten?«
Tugear und Worogan sahen zu Tagaran hin. Sie sagte etwas zu Rooke, aber zu schnell. Das einzige, was er heraushörte, war white man – weißer Mann , alles andere war verschwommen.
»Ich habe dich nicht verstanden«, sagte er. » Mapiadyimi .«
» Piyidyangala whitemana ngalari Tugearna «, wiederholte Tagaran, diesmal schön langsam ein Wort nach dem anderen.
In dem Wort piyidyangala hörte Rooke den ihn bereits bekannten Wortstamm piyi , schlagen.
Während sein Hirn noch die Bedeutung zu ermitteln versuchte, krampfte sich sein Herz zusammen. Ein weißer Mann hat Tugear geschlagen . Ohne die genauen Hintergründe ermitteln zu müssen, wusste er, dass es etwas war, was er gar nicht hören wollte.
Tagaran setzte eine wütende Miene auf und machte dazu ausholende Bewegungen mit der Hand, als würde sie jemanden schlagen. Rooke sah alles nur zu deutlich vor sich, den aufgebrachten Seesoldaten oder den brutalen Sträfling. Einen kurzen Augenblick lang sah er Brugdens kräftige Schultern, stellte sich vor, wie dieser den Arm hob, um zuzuschlagen.
Tagaran zeigte ihm ihren verletzten Finger und die lange Platzwunde auf ihrem Arm, die von dem Schlag herrührte, zeigte ihm den breiten blutenden Striemen auf Tugears Rücken. Dann blickte sie zu ihm auf, schmerzerfüllt und entrüstet.
Rooke ergriff vorsichtig ihre Hand und untersuchte sie, bog behutsam einen Finger nach dem anderen und beobachtete dabei Tagarans Miene. Der Finger war nicht gebrochen, aber geschwollen. Er nahm ihre andere Hand und verglich den geschwollenen Finger mit dem der anderen Hand. Obwohl er ihre Hand sehr behutsam hielt, um die verletzte Stelle nicht zu berühren, zog sie sie zurück.
» Didyi didyi! «
In Tagarans Stimme lag ein vorwurfsvoller Unterton, obwohl
Weitere Kostenlose Bücher