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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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öffnete ein neues Notizbuch, um den Plan in die Tat umzusetzen, konnte sich aber doch nicht dazu durchringen. Seine Einträge unter dem Gesichtspunkt zu lesen, was möglicherweise falsch ausgelegt werden könnte, hieße, sie zu verfälschen. Außerdem würde er die Aufzeichnungen dann ebenfalls mit derben Hintergedanken lesen müssen und selbst davon beschmutzt werden. Eine bereinigte Fassung von den Notizbüchern zu machen, würde sie zerstören. Sie wären dann so echt wie ein ausgestopfter Papagei, aber nicht wahrheitsgetreu.
    Als er auf einmal Barringan zwischen den Felsen zur Hütte heruntersteigen sah, gefolgt von Boneda, der laut kamara , kamara rief, und Tagarans in der Sonne leuchtender Gestalt, freute er sich. Zugleich spürte er aber auch noch etwas anderes in seinem Herzen. War es möglich, dass man sich etwas wünschte und gleichzeitig Angst davor hatte? Der Zwiespalt zwischen den Gefühlen in seiner Brust war so stark, dass er nicht imstande war, den Gruß der Kinder zu erwidern.
    Heute zog es sie offenbar nicht in die Hütte. Nur Tagaran ging hinein, und als er ihr folgte, warf er unwillkürlich einen besorgten Blick zum Hügelkamm hinauf, ob dort nicht etwa Silks muntere Gestalt auftauchte.
    Tagaran ging schnurstracks auf die Ecke zu, in der die Muskete stand, zog das Taschentuch von der Gewehrmündung und griff sich die Waffe. Während Rooke noch die Hand ausstreckte, um Tagaran daran zu hindern, hatte sie die Muskete schon angelegt und den Finger am Abzug. Jetzt tat sie so, als wüsste sie, wie man mit zusammengekniffenem Auge etwas anvisiert.
    Wo hatte sie das gesehen? Und warum hatte sie bis jetzt gewartet, um es auszuprobieren?
    Gestochen scharf wie einen Kupferstich im Rahmen sah Rooke die Szene jenes ersten Tages am Strand vor sich, als Weymark den Eingeborenen die Macht der Waffe des weißen Mannes demonstriert hatte. Und wie er selbst über die unverblümte Auskunft des Schiffsarztes gelacht hatte, was eine Musketenkugel mit einem Menschen anstellen könne. Rooke hatte das eigentlich nicht lustig gefunden und fragte sich jetzt, was damals bloß in ihn gefahren war, darüber zu lachen.
    Die Nachricht über diese Vorführung hatte sich bestimmt von einem Stamm zum anderen verbreitet. Höchstwahrscheinlich hatte auch Tagaran davon gehört. Ob sie gerade das gleiche Bild vor Augen hatte wie er?
    Mit einem missbilligenden Lächeln nahm er ihr das Gewehr ab und stellte es in die Ecke zurück.
    Doch Tagaran griff erneut danach und steckte nun den Finger in die Mündung. Sie wollte wissen: Wodurch kommt die Kugel da raus?
    Der Gouverneur hatte den Seesoldaten die Order erteilt, die Eingeborenen auf keinen Fall sehen zu lassen, dass man zum Auslösen eines Schusses etwas in die Gewehre einführen musste. »Sie sollen glauben, die Geräte selbst haben eine genauso unmittelbare Wirkung wie ihre Speere«, hatte er gesagt. »Zu unser aller Sicherheit lassen Sie einen Eingeborenen nie sehen, wie man die Muskete lädt.«
    Rooke schüttelte also den Kopf, hielt als Ablenkungsmanöver den Daumen in die Höhe und fragte, wie er auf Englisch hieß. Tagaran ging nicht darauf ein. Diesmal war ihre Wissbegier anders, drängender als sonst, wenn es um Fragen ging, wie man den Deckel des Tintenfasses entfernte oder welche Funktion die Schnalle an Rookes Schuh hatte.
    Oder schien es ihm nur wegen des Schattens, der seit kurzem über allem lag, anders vorzukommen?
    Weil es ihm schwerfiel, Tagaran eine Antwort zu verweigern, dachte Rooke schließlich, er könnte ihr zumindest halbwegs entgegenkommen. Ungeachtet des Befehls und seines eigenen Widerstrebens nahm er den Beutel mit den Bleikugeln vom Haken und ließ eine davon auf seinen Handteller gleiten. Tagaran griff sofort danach, befühlte sie, wog sie in der Hand und biss mit den Zähnen darauf, bevor sie ihm die Kugel zurückgab. Rooke ließ sie in die Mündung rollen und stieß sie mit dem Ladestock hinunter.
    Er musterte ihr Gesicht, während sie aufmerksam dem Auf und Ab des Ladestocks folgte. Offensichtlich hatte sie völlig vergessen, dass er kamara war. Im Augenblick war er nichts weiter als ein Werkzeug, mit dessen Hilfe sie an die gewünschten Informationen kommen konnte.
    Rookes Hände kannten die Bewegungsabläufe dieses Rituals so gut, dass er das Gewehr mit geschlossenen Augen hätte laden können. In Portsmouth hatten sie diese Prozedur endlos lange geübt, während der Sergeant die Handgriffe einen nach dem anderen herausgebrüllt hatte. Rooke konnte

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