Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville

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Zwieback reichte, deutete er auf ihren Finger.
    » Murra bidyul? «, fragte er, in der Hoffnung, es bedeute Finger besser?
    » Bial, karangun «, sagte sie, wobei sie den Kopf schüttelte und das Gesicht verzog. Nicht besser, sondern schlechter, sollte das wohl heißen, dachte Rooke. Wenigstens schien sie sich damit abgefunden zu haben, dass mehr als Mitgefühl von ihm nicht zu erwarten war.
    Als die Kinder die Zwiebackstückchen aufgegessen hatten, fing Tagaran an, mit großen Gesten Gastgeberin zu spielen und den beiden anderen Geheimnisse der Hütte zu zeigen, die diese noch nicht kannten. Sie demonstrierte ihnen, wie man mit dem Flintstein einen Funken schlug, zeigte ihnen, wie man das Beil mit dem Wetzstein schärfte, und öffnete die Kiste mit dem Sextanten. Sie drohte ihnen mit dem Finger, das Instrument nicht zu berühren, und deutete nach oben. Wie sie selbst es damals getan hatte, blickten die beiden Mädchen zu den Schindeln hinauf, worauf Tagaran einen Schwall Wörter ausstieß. Rooke war sich ziemlich sicher, dass sie sinngemäß bedeuteten Nein, Unsinn, nicht das Dach, sondern die Sterne!
    In der Hütte gab es keine große Auswahl an Dingen, die man vorführen konnte, deshalb war Rooke klar, dass Tagaran den Gegenstand in der Ecke hinter der Tür bewusst übersah: seine Muskete. Aus Mangel an Haken und Regalen benutzte Rooke sie dafür, kleine Kleidungsstücke darüber zu hängen. Meist dachte er gar nicht mehr daran, dass es eine Waffe war, doch nun, da Tagaran sie ignorierte, wurde ihm diese Tatsache wieder bewusst.
    In diesem Moment sagte Tugear etwas, und schlagartig waren sie alle fort – wie ein Schwarm dieser zwitschernd auf dem Gras landenden Vögel, die plötzlich aufgeschreckt davonstoben.
    Er sah ihnen nach, als sie die Felsen hinaufkletterten. Ein Stück unterhalb der Hügelkuppe drehten sie sich noch einmal um und winkten.
    » Goodbye! Goodbye! Goodbye! «
    Der Klang dieses Wortes schien ihnen unheimlich gut zu gefallen.
    Rooke winkte zurück, bis sie hinter dem Kamm verschwunden waren, blieb aber auch danach noch eine Weile stehen und blickte hinauf.
    Als er dann wieder in die Hütte hineinging, befiel ihn das trostlose Gefühl, versagt zu haben. Was Tagaran von ihm erwartet hatte, konnte er unmöglich erfüllen. Rooke ging es im Geiste noch einmal durch: wie er sich zur Charlotte hinüberrudern ließ, an die Tür der Kapitänskajüte klopfte und wie ihn der Kapitän dann anblickte. Eingeborenenmädchen, sagten Sie?
    Unmöglich.
    Tagaran hatte bestimmt von Anfang an gewusst, dass er diese Prüfung nicht bestehen würde, und ihm verziehen. Es war nur die Bestätigung von etwas, das sie bereits begriffen hatte. Wie bei so vielen anderen Dingen war sie ihm auch hierbei voraus.
    Sie alle wussten, wovor er das Gesicht abgewandt hatte: Ob es ihm gefiel oder nicht, er war ein Berewalgal . Er trug die rote Jacke. Er schulterte, wenn es ihm befohlen wurde, die Muskete. Er sah untätig zu, wenn ein Mann ausgepeitscht wurde. Er wagte nicht, einem Weißen die Stirn zu bieten, der seine Freunde geschlagen hatte.
    Rooke hatte so getan, als wäre es nicht so. Hier in seiner Hütte existierte eine eigene Welt, eine Welt mit Tagaran und den anderen. Diese Welt befand sich auf einer ganz anderen Umlaufbahn als jene, in der er mit Seinesgleichen lebte. Man konnte aber nicht gleichzeitig zwei verschiedenen Wegen folgen. Tagaran hatte es gewusst. Nun wusste er es auch.
    Die Düsternis, die seinen Tag überschattete, war auf etwas zurückzuführen, das er bislang nicht hatte wahrnehmen wollen: dass die Freude, die er mit Tagaran erlebte, einen Schatten warf. An diesem Nachmittag war er davon gestreift worden, nur ganz leicht. Es würde wieder geschehen. Was er mit Tagaran erlebte, war die größte Freude seines Lebens. Doch untrennbar mit dieser Freude verbunden war ein Universum der Unmöglichkeit.

✶
    D as war typisch für Sydney Cove, dachte Rooke: Am Ende eines jeden Sommertages erhob sich mit einer solchen Zuverlässigkeit ein Nordostwind, als würde dort draußen auf dem endlosen Pazifischen Ozean jemand dafür bezahlt, ein Fenster zu öffnen. Windböen schüttelten die Bäume auf den bewaldeten Landzungen und peitschten das Wasser in der Bucht metallischgrau auf.
    Rooke überlegte, ob er die Notizbücher vernichten sollte. Er würde sich eine Kopie machen, in der er alles wegließ, was missverstanden werden konnte. Anschließend würde er die Originale verbrennen. Er setzte sich an den Tisch und