Australien 02 - Der Sternenleser
wurde ein Mann beim Hacken des Bodens angegriffen, genauer gesagt, ein Speer landete in der Erde direkt vor seinen Füßen; er selbst wurde zum Glück nicht getroffen.«
Rooke registrierte, wie Silks Daumen geistesabwesend über die Kante des Notizbuches strich, genau an der Stelle, wo der blaue Leineneinband abgegriffen war.
»Ich habe das Gefühl, dass sich da etwas zusammenbraut, aber was soll man machen, wenn sich die Angreifer nicht blicken lassen? Der Gouverneur gedenkt, noch weitere zehn Mann mitsamt einer kleinen Kanone hinzuschicken. Die Redoute von Rose Hill ist strategisch hervorragend gelegen. Ein Dutzend Männer würden genügen, um jede Zahl von Eingeborenen abzuwehren.«
Rooke hatte zwar gehofft, Silk vom Thema ablenken zu können, nicht aber mit solchen Nachrichten gerechnet, wie er sie nun hörte. Die kleinen Dramen, die sich in seiner Hütte abspielten, hatten seinen Horizont ganz ausgefüllt. Dort draußen in der größeren Welt von Seiner Majestät Strafkolonie schien etwas zu gähren, und dass er davon nichts mitbekam, war gefährlich.
Während Silk redete, hatte er das Notizbuch wieder in die Hand genommen und glaubte offenbar, inzwischen berechtigt zu sein, einen Blick hineinzuwerfen.
»Ah ja, das habe ich auch, wie du dich vielleicht noch erinnerst. Und das hier, budyeri , habe ich zwar anders geschrieben, aber gemeint ist eindeutig dasselbe. Und sieh mal an, da steht bial , was nein bedeutet. Statt mit i habe ich’s allerdings mit zwei e geschrieben, weil ich fand, dass so klarer ist, wie man es ausspricht. Und so viele Seiten! Sapperlot, Rooke, da hast du dich aber ganz schön rangehalten.«
Rooke streckte die Hand nach dem Notizbuch aus, aber Silk blätterte weiter darin herum und gab es nicht her.
»Nur keine Bescheidenheit, Rooke, das ist wirklich eine beachtliche Leistung. Du musst lernen, dein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, mein Freund!«
Er lehnte sich zurück und klappte das Notizbuch zu, ließ es aber nicht los. Rooke redete sich ein, das Unbehagen, das er empfand, weil Silk seine Aufzeichnungen las, sei ein Überrest all der anderen Eigenarten, die er hatte bezwingen müssen. Er würde akzeptieren müssen, dass die Privatsphäre ein Luxus war, den sein Leben nicht zu bieten hatte. Sollte die Zeit, die er mit den Eingeborenen allein hatte verbringen können, nun zu Ende sein, musste er sich wohl oder übel damit abfinden.
»Du erinnerst dich doch gewiss«, sagte Silk, »dass ich gehofft hatte, in meine Geschichte ein Kapitel über die Sprache einfügen zu können.«
Der Ton, in dem er dies sagte, war wohl schärfer, als er beabsichtigt hatte, denn er ließ ein leicht nervöses Lachen folgen.
»Darf ich fragen, was du mit diesen Grammatischen Formen zu tun gedenkst? Willst du sie veröffentlichen?«
Silk war einfach zu schnell für Rooke.
»Veröffentlichen? Das hier veröffentlichen?«
»Nun ja, dann würde deine Arbeit eine größere Leserschaft finden, nicht wahr?«
Wie verschieden sie beide doch waren, dachte Rooke. Für Silk hatte Geschriebenes nur dann einen Zweck, wenn man damit eine Leserschaft erreichte. Warum sollte man sich eine solche Arbeit machen, wenn man sie nicht veröffentlichen wollte? Bis vor kurzem hätte Rooke die Dinge genauso gesehen, wäre er von der Vorstellung, dass seine Mühen eine öffentliche Leserschaft fänden, begeistert gewesen.
Als er beschlossen hatte, die Sprache der Eingeborenen zu erlernen, hatte er an nichts weiter gedacht als an eines: die Wörter aufzuschreiben. Jetzt wurde ihm bewusst, wie weit er sich von der einst mit Silk geteilten Welt entfernt hatte. Tagaran schien ihn auf einen völlig neuen Weg geführt zu haben.
»Mag sein, dass ein paar Leute Interesse daran haben. Gelehrte, solche, die vielleicht die Sprachen abgelegener Stämme sammeln. Veröffentlichen – ich weiß nicht so recht, ich fürchte, dafür dürfte die Zahl zu gering sein. An Lesern, meine ich.«
Rooke merkte, wie Silk aufzuatmen schien, geradezu, als hätte er es geschafft, eine schwere Last einen steilen Hang hinaufzuschleppen, und könnte nun den Rest der Schwerkraft überlassen.
»Genau, Rooke«, sagte er. »Da bin ich ganz deiner Meinung. Deine Notizen dürften wohl kaum von großem allgemeinem Interesse sein. Mich bekümmert jedoch, dass ich selbst so wenig von der Sprache aufzeichnen konnte, was teilweise auf meinen Aufenthalt in Rose Hill zurückzuführen ist. Wie du merkst, denke ich sozusagen gerade laut.«
Er zögerte, und
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