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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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es fast nicht mehr glauben, damals in dem Gewehr nur ein Wunder der Logik und der Technik gesehen zu haben.
    Als er jetzt auf Tagarans Gesicht einen Widerschein dieser Faszination wahrnahm, hätte er ihr am liebsten gesagt: Hier gibt’s nichts zu bewundern .
    Er hoffte, das Laden und Stopfen würde ihr genügen, doch Tagaran ließ sich nicht hereinlegen. Sie deutete auf die Pulverpfanne und den gänsehalsförmigen Hahn mit dem Flintstein – wollte folglich demonstriert bekommen, welche Funktionen sie jeweils hatten. Also zeigte ihr Rooke, wie man den Hahn spannte und der Flintstein einen Funken erzeugte. Tagaran wusste jedoch, dass noch immer etwas fehlte und sich das noch Fehlende in dem kleinen Beutel oben auf dem Regal befand.
    Umständlich und betont vorsichtig öffnete Rooke den Beutel und schüttete etwas Schwarzpulver auf seinen Handteller. Dann gab er es auf die Pfanne, ließ aber das Wesentliche weg: Es fehlte das Pulver hinter der Kugel, das sie aus dem Lauf getrieben hätte.
    Zumindest nach dem Buchstaben des Gesetzes befand er sich noch immer auf der richtigen Seite.
    Tagaran folgte Rooke nach draußen. Eigentlich hatte er gedacht, die Frauen würden wie gewöhnlich dort draußen an ihrem Lagerfeuer sitzen, während Boneda und die anderen Kinder zwischen den Felsen umhersprangen, zum Wasser hinunterrannten und wieder hinauf, doch niemand war zu sehen.
    »Wo ist Mauberry, wo ist Boneda?«, fragte er Tagaran. Seine Frage interessierte sie überhaupt nicht, sondern nur das, was er als Nächstes mit dem Gewehr tun würde.
    Rooke fand es ein wenig seltsam und beunruhigend, dass sonst niemand da war. Vielleicht war es aber auch besser so, dachte er dann. Der Lärm, den er gleich veranstalten würde, hätte die Säuglinge furchtbar erschreckt.
    Tagaran wollte sich direkt neben ihn stellen, doch Rooke bedeutete ihr, ein paar Yards zurückzugehen. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie zu, wie er so tat, als visierte er etwas an, bevor er mit dem Finger den Abzug betätigte. Der Flintstein schlug gegen den Batteriedeckel, der Funke entzündete das Pulver in der Pfanne. Als der helle Feuerstrahl herausschoss, sprang Tagaran mit einem Aufschrei zurück, allerdings mehr vor Begeisterung als vor Angst.
    Rooke spürte, wie die Empfindungen, die das Geräusch in ihm wachrief, seine Miene erstarren ließen.
    »So«, sagte er, ließ das Gewehr sinken und stellte es mit dem Lauf nach unten auf den Boden, »jetzt habe ich dir alles gezeigt. Bist du nun zufrieden?«
    Tagaran ließ sich jedoch nicht täuschen. Mochte er auch Lärm und Licht erzeugt haben, sie wusste, dass die Kugel noch im Lauf steckte.
    Nur für diesen einen Tag hätte Rooke gewünscht, dass sie dumm war.
    Mittels Gesten, die nicht einmal ein Schwachsinniger hätte missverstehen können, machte sie ihm klar, was sie wollte: die Bleikugel – sie nahm eine andere in die Hand, um es ihm zu demonstrieren – aus der Mündung fliegen sehen.
    Das würde er auf keinen Fall tun. Der Feuerstrahl und der Lärm, den diese Maschine erzeugte, mochten ja faszinierend sein, etwa so wie Feuerwerk oder wenn jemand aus einer Tuba einen Ton herausbrachte. Ein Stück Metall daraus abzufeuern, das einen Holzschild oder einen menschlichen Körper durchdringen konnte und die Innereien darin freilegte, war eine Erfahrung ganz anderer Art, eine andere Sprache. Was sie sagte, war: Ich kann dich töten .
    Rooke wollte nicht, dass Tagaran diese Sprache lernte. Und schon gar nicht von ihm.
    »Nein. Kommt nicht in Frage. Bial. Bial .«
    Tagaran zog eine Schnute und versuchte, ihn durch Schmeicheln umzustimmen. Als das nichts half, schmollte sie und nannte ihn einen tamunalang , einen, der eine Bitte abschlägt oder vielleicht auch, mutmaßte Rooke, einen gemeinen Kerl.
    Anfangs hatte er noch gedacht, es sei ein Spiel: Tagaran versucht, ihren Willen durchzusetzen . Doch sie ließ einfach nicht locker, packte das Gewehr am Lauf und drängte es ihm regelrecht auf. Rooke war über den naiven Wunsch, Töten zu spielen, schockiert.
    Er dachte, sie müsse doch eigentlich merken, wie qualvoll es für ihn war, mit dem Gewehr herumzuhantieren und daran erinnert zu werden, dass er Soldat war, sein Beruf die Gewalt. Warum bloß gab sie nicht nach?
    »Nein! Ich bitte dich, verlang das nicht von mir!«
    Noch nie zuvor hatte er Tagaran inständig um etwas bitten müssen und kannte deshalb auch kein Wort in der Sprache der Cadigal für eine so flehentliche Bitte.
    Er riss ihr das Gewehr aus der Hand,

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