Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville

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verbarg es hinter seinem Rücken, wo sie es nicht mehr erreichen konnte, und hielt Tagaran am Handgelenk fest, damit sie sich die Waffe nicht wieder holte. Ihr Arm war dünn wie ein Zweig, aber stark. Er spürte die sehnige Kraft.
    »Hör auf, Mädchen, besteh nicht darauf«, rief er schließlich aus. »Ich habe Nein gesagt!«
    Er hörte den Zorn in seiner Stimme, und Tagaran hörte ihn auch. Sie reagierte mit einem wütenden Wortschwall. Rooke ließ ihren Arm los, Tagaran trat einen Schritt zurück. Sie starrten einander an. Auf einmal war es kein Spiel mehr.
    Rooke war bestürzt. Er hätte nie gedacht, dass er seine Kraft jemals gegen Tagaran verwenden oder in aufgebrachtem Tonfall mit ihr reden würde.
    Er musterte die trotzige Miene, mit der sie ihn anblickte, halb von ihrem Haar verdeckt, das Kinn bockig vorgereckt. Er verstand nicht, was geschehen war, außer dass es mit dieser elenden Flinte zu tun hatte. Da hätte er gleich einen Schuss abfeuern können. Damit wäre genauso viel zerstört worden, wie es nun durch seine Wut geschehen war.
    Tagaran wandte sich zur Tür. Rooke machte einen Schritt in ihre Richtung.
    »Morgen«, sagte er zu ihrem Rücken. » Parribugo . Wirst du morgen wiederkommen?«
    Sie sagte etwas, ohne ihn anzusehen.
    » Kamara , goodbye .«
    Was für ein schreckliches Wort dieser Abschiedsgruß doch war. Er konnte ihn nicht erwidern. Das Wort war wie ein Messer.
    » Parribugo . Ich werde hier sein. Parribugo! «
    Doch sie war schon fort. Rooke sah ihr nach, wie sie den Pfad hinaufstieg, wie sich ihre langen dünnen Beine ohne zu stocken über die Felsen bewegten. Er hoffte, Tagaran würde sich noch einmal umdrehen. Er würde ihr zuwinken, damit sie zurückkäme. Er würde zu ihr hinauflaufen.
    Aber sie drehte sich nicht um.
    Nachdem sie gegangen war, setzte sich Rooke auf sein Bett. Ihm zitterten die Knie, und er spürte einen Druck in der Kehle, als versuche etwas, aus ihm herauszukommen.
    Der Geruch des Schießpulvers, das er für Tagaran zur Explosion gebracht hatte, hing noch in der Luft. Er versetzte ihn in Panik, machte ihn ganz konfus.
    Warum hatte Tagaran wissen wollen, wie man ein Gewehr abfeuerte?
    Sein Hirn lieferte ihm eine mögliche Antwort. War es möglich – nur so als Vermutung –, dass Tagaran von den Eingeborenen ausgewählt worden war, die Sprache der Aus-weiter-Ferne-Leute zu lernen? Um herauszufinden, was das für Leute waren? Und vielleicht sogar, um hinter die Bedeutung der Zeichen auf dem Papier zu kommen, die für sie so wichtig waren? Um zu verstehen, wie ihr Verstand funktionierte, was für Gewohnheiten, Überzeugungen und Empfindungen sie hatten?
    Und vielleicht auch, um herauszufinden, wie die Gewehre funktionierten. Ihre Macht, ihre Grenzen. Wie man ihnen mit Speeren oder hölzernen Schutzschilden begegnen konnte.
    Ein kluges Kind wie Tagaran war die perfekte Wahl: schnell von Begriff, aber arglos. Neugierig, voller Fragen, aber nur ein Kind. Rooke dachte daran, wie sie die Wörter nur ein einziges Mal zu hören brauchte, um sie in sich aufzunehmen, und den Sinn ganzer Sätze unglaublich schnell erfasste. Sie hatte selbst mehr gelernt, als sie ihm beigebracht hatte.
    Er hatte Tagaran immer mehr als eine Hilfsquelle angesehen, hatte geglaubt, sie zu seiner Lehrerin ernannt zu haben. Sein eigener Ehrgeiz hatte ihn zu selbstsicher werden lassen.
    Schließlich gestand er sich die bittere Wahrheit ein: Er hatte sich durch ihre Freundschaft geschmeichelt gefühlt.
    Jetzt, um es klar und deutlich zu sagen, sah es ganz so aus, als wäre er derjenige, der benutzt worden war.
    Für dumm verkauft worden zu sein, war schmerzlich. Doch der Druck in seiner Kehle, das einengende Gefühl, als wisse er nicht mehr, wie man atme, rührte nicht daher. Was ihm die Kehle zusammenschnürte, war die Erkenntnis, dass Tagaran seine Gesellschaft in Wirklichkeit gar nicht genossen hatte. Sie hatte ihn nur für das geschätzt, was er ihr hatte geben können.
    Und genauso hatte auch er sie in zunehmendem Maße gesehen. Bis jetzt, wo es vielleicht zu spät war.
    ✳
    Am nächsten Tag, als Rooke mit den Mittagsmessungen fertig war, stieg er zum Hügelkamm hinauf. Oben angekommen, ging er nicht zur Siedlung hinunter, sondern in die entgegengesetzte Richtung zu der Bucht, die bei den Siedlern Long Cove hieß. Er hatte dort schon häufig Rauch aufsteigen sehen, und Tagaran hatte ihm erzählt, dass die Herzmuscheln und die dicken Schlammaustern das ruhige Wasser dieser schmalen Bucht mochten.