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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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hat.«
    ✳
    Die Nachricht war wie eine dunkle Flutwelle über die Siedlung geschwappt, die Stimmung in der Kaserne war düster. Obwohl Brugden nicht einmal ein freier Mann war, hatte man ihm die Handlungsvollmacht eines Soldaten gewährt. Keinem der Männer hier an der Tafel hatte das gefallen, keiner hatte den Mann gemocht. Doch jedem von ihnen war klar, dass jetzt nichts mehr so sein konnte wie bisher, weil Brugden im persönlichen Dienst des Gouverneurs gestanden hatte.
    Silk war das Zentrum der Aufmerksamkeit. Er hatte sich die Geschichte offenbar bereits zu eigen gemacht.
    »Die Wildhüter waren im sogenannten Kangaroo Ground in der Nähe der Botany Bay zum Jagen unterwegs«, erzählte er. »Als ein paar Eingeborene mit Speeren in den Händen auf sie zuschlichen, bekamen es die beiden anderen mit der Angst zu tun. ›Keine Bange‹, beruhigte sie Brugden, ›die kenne ich.‹«
    Im Saal herrschte Schweigen, sämtliche Blicke waren gebannt auf Silk gerichtet, als wäre dort die Szene zu sehen, die er so lebhaft schilderte. Aber woher wusste Silk eigentlich, dass es so gewesen war?, fragte sich Rooke.
    »Er legte das Gewehr nieder und redete mit ihnen in ihrer eigenen Sprache, von der er offenbar ein paar Worte kannte, wie einige von uns hier auch. Doch plötzlich sprang einer der Eingeborenen auf einen umgestürzten Baum und schleuderte ohne die geringste Vorwarnung einen Speer auf Brugden ab, der in dessen Brust steckenblieb. Und dort steckt er noch immer.«
    Silk blickte in die Runde, als erwarte er Applaus.
    »Und …?« Willstead wusste offenbar nicht so recht, wie er seine Frage formulieren sollte.
    »Oh, er ist noch am Leben. Die Waffe hat seine Rippen durchbohrt, ihn aber nicht direkt getötet.«
    An der Tafel war eine leichte Unruhe wahrnehmbar, Erleichterung oder ein Spannungsabfall, vielleicht gar Enttäuschung? Gewalt hatte etwas Anregendes. So lange ein anderer das Opfer war, brachte sie das Blut in Wallung, verlieh sie der Welt ein wenig Glanz.
    Rooke war über seine brutale Beurteilung selbst überrascht.
    Silk war noch nicht fertig.
    »Ja, er lebt noch.«
    Dies sagte er mit so gleichgültiger Stimme, dass die Männer sich vorbeugen mussten, um den Satz zu verstehen.
    »Er wird natürlich sterben. Stück für Stück allerdings.«
    »Der arme Teufel«, flüsterte Timpson Rooke zu. »Genauso gut hätte es dich oder mich treffen können. Eins kann ich dir sagen, Rooke, von hier aus wird es kein Zurück mehr geben.«
    Silk hob die Stimme, um das Getuschel zu übertönen.
    »Man hat einen Eingeborenen ins Hospital gebracht. Seiner Aussage zufolge würde in dem Moment, wo man den Speer aus Brugdens Körper herauszuziehen versucht, sofort der Tod eintreten.«
    An der Tafel wurde es schlagartig still. Rooke, der sich Brugden mit dem Speer in der Brust vorzustellen versuchte, verspürte tief drinnen ein unwiderstehliches Zerren. Man würde ihn sich am liebsten herausreißen wollen. Das musste das Schlimmste sein: zu wissen, dass man es nicht tun konnte. Man würde sterben, das feindliche Ding ganz dicht am Herzen, näher, als irgendein geliebter Mensch es je gewesen war.
    Wildhüter . Rooke fragte sich, ob es womöglich dieses Wort war, das Brugden getötet hatte.
    »Warungin hat den Speer untersucht«, fuhr Silk fort, »und ohne zu zögern festgestellt, dass es sich bei dem Angreifer um einen gewissen Carangaray vom Stamm Botany Bay handelt.«
    Rooke hatte Warungin schon von Carangaray sprechen hören. Möglicherweise war er sogar einer der Männer, die manchmal mit ihm zu Rookes Hütte kamen, um sich über Warungins Parodie auf Major Wyatt zu amüsieren.
    Rooke nahm die Wut im Saal körperlich wahr – wie einen Lufthauch oder einen Geruch. In seiner Ecke am Ende der langen Tafel zog er sich in sich selbst zurück. Er wünschte, er wäre in seiner Hütte mit der heimelig brennenden Kerze, wünschte, es wäre gestern, wünschte, Brugden würde nach wie vor mit seinem wiegenden Gang herumstolzieren, ohne Speer zwischen den Rippen.
    Irgendetwas war zu Ende gegangen, etwas anderes fing gerade an. Rooke wollte nicht, dass irgendetwas zu Ende ging oder irgendetwas begann.
    »Das Gewehr ist die einzige Sprache, die diese Kerle kapieren«, sagte Lennox. »Hören Sie auf mich – ein paar Tote, und wir wären sie ein für allemal los. Diesen ganzen Humbug mit Freundschaft und Güte können Sie vergessen.«
    Major Wyatt am Kopfende der Tafel starrte ins Leere und hörte offenbar nichts.
    Silk übernahm die Rolle

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