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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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das Dorf selbst noch nie gesehen, sondern nur gehört, es sei eine Ansammlung von Hütten auf einer schmalen, auf drei Seiten von tiefem Wasser umgebenen Halbinsel.
    Er dachte an Silks Worte zurück. Du könntest es einfach als eine Art Theater betrachten . Doch da stand Silk nun, mit leuchtenden Augen angesichts seines raffinierten Plans und einem Seil zum Fesseln der Gefangenen aufgerollt über der Brust.
    Selbst Theater musste wohl überzeugend gespielt werden, mutmaßte Rooke.
    Nachdem der Sergeant die Soldaten hatte antreten lassen, setzte sich der Trupp mit Geklirr in Bewegung. So wie ein tollpatschiges, vielgliedriges Aufziehspielzeug über den Fußboden zuckelt, bis die Feder abgelaufen ist, zogen sie im Gänsemarsch aus der Siedlung. Unter einem niedrigen grauen Himmel marschierten sie denselben Pfad entlang, dem Brugden bei seiner letzten Rückkehr in entgegengesetzter Richtung gefolgt war.
    Nach etwa vier Stunden erreichten sie den Kangaroo Ground, ein liebliches, sanft gewelltes, parkähnliches grünes Tal mit hohen, einzeln stehenden Bäumen. Unmittelbar am Wegrand stand die Hütte, die Brugden und die anderen Wildhüter nach dem Muster der Eingeborenenhütten aus Ästen und Rindenstreifen als Unterkunft für ihre Jagdausflüge errichtet hatten. Davor hatten sie eine mit Steinen eingefasste Feuerstelle angelegt und aus der Umgebung Baumstämme zum Sitzen herbeigeschleift.
    Sie haben es sich richtig gemütlich gemacht, dachte Rooke. Ein Berg ausgeglühter Holzscheite lag in der Feuerstelle. Wie viele Nächte hatten die Sträflinge und ihr Sergeant wohl hier gesessen und einander Geschichten aus ihrem Leben erzählt? Sie hatten ein kleines Stück Land für sich abgezweigt, auf dem sie den Gouverneur und die gesamte Maschinerie des Empire vergessen konnten. So wie Leutnant Rooke auf seiner Landspitze waren sie im Kangaroo Ground freie Männer gewesen.
    Auf ihrem Marsch stiegen die Männer Anhöhen hinauf und in Täler hinab. Kurz nachdem sie eine Tiefebene mit kleinen Süßwasserteichen durchquert hatten, ertönte an der Spitze des Trupps der Ausruf: »Das Meer! Das Meer!«, und dann standen sie am Ufer der Botany Bay. Jenseits der Öffnung zwischen den beiden Landzungen, von denen die Bucht umschlossen wurde, lag der Ozean, die einfache Geometrie des Horizonts.
    Silk ließ Halt machen und versammelte die Männer um sich.
    »Das Dorf liegt am nördlichen Ende dieses Strandes, Männer. Wir werden jetzt zu den Teichen zurückkehren, an denen wir eben vorbeigekommen sind, und dort eine Weile Rast machen, bevor wir unseren Angriff beginnen.«
    Am Ufer eines der Teiche suchten sich die Männer möglichst schattige Plätze, packten dort ihren Proviant aus und aßen. Dann streckten sie sich im Gras aus, die Tornister hinter sich als Unterlage für die Köpfe. Der Sergeant fing bald an zu schnarchen; das Taschentuch, das er sich zum Schutz gegen die Fliegen aufs Gesicht gelegt hatte, flatterte bei jedem Atemzug leicht auf und ab.
    Rooke hatte sich einen geschützten Platz zwischen hohen Sträuchern gesucht, der wie ein Raum mit Wänden war, die in der vom Meer her wehenden Brise schwankten. Er legte sich ebenfalls hin, schlief aber nicht ein.
    Obwohl es noch gar nicht richtig begonnen hatte, wünschte Rooke, dieses Abenteuer wäre schon vorüber.
    Er ging noch einmal seine Hypothesen durch. Annahme eins: Bei der Expedition würden lediglich Eingeborene erwischt, die keinen Grund hatten, ihnen aus dem Weg zu gehen. Annahme zwei: Die Eingeborenen hatten Grund, ihnen aus dem Weg zu gehen, folglich würde sich auch keiner von ihnen erwischen lassen.
    Nun ja, gleich null war diese Möglichkeit nicht, korrigierte sich Rooke. Es ließ sich zwar nicht in Zahlen ausdrücken, doch die Wahrscheinlichkeit war so gering, dass man sie ignorieren konnte, redete er sich ein.
    Weshalb aber verkrampften sich dann seine Gesichtsmuskeln von der angestrengten Rechnerei?
    Ihm kam etwas in den Sinn, woran er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte: Wie Dr. Vickery einst versucht hatte, einem eingeschüchterten Jungen dadurch die Befangenheit zu nehmen, dass er sich selbst mit einer Fledermaus verglich. Doch Rookes begieriges Warten auf die Nacht hatte nichts mit der Ungeduld eines Astronomen zu tun. Er brauchte nur noch weitere sechs oder sieben Stunden Tageslicht zu überstehen. Dann würden sie den Angriff auf das Dorf mit ziemlicher Sicherheit hinter sich haben.
    Die Dunkelheit würde hereinbrechen, und er könnte sich in seine Decke

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