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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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Worte. Brauchte das, woran sie beide gewöhnt waren, die Frage und die Antwort.
    » Inyam ngalawi white men .« Weil die weißen Männer sich hier niedergelassen haben.
    Rooke dachte, vielleicht brauchte Tagaran es ebenfalls, zurück und vor, Wort und Wort.
    Sie strich mit ihrer schmalen schlanken Hand vom Ellbogen zum Handgelenk, als wäre ihr kalt. Rooke sah den Streifen mit den rosa Punkten von der Schürfwunde, die ihr die Person von der Charlotte beigebracht hatte.
    Tagaran senkte den Blick wieder. Rooke konnte ihr Gesicht nicht sehen, nur ihre Nasenspitze und ihr Haar.
    » Tyerun Cadigal «, sagte sie, ohne aufzublicken. Die Cadigal haben Angst.
    Ihre Finger strichen über die Mahagoniplatte, als könnte sie die Oberfläche wegreiben und darunter etwas anderes sehen.
    »Die Muskete«, begann er. »Erinnerst du dich? Du hast mich gefragt, du wolltest es lernen. Sie abzufeuern. Sie zu laden und abzufeuern.«
    Ohne etwas zu erwidern, strich Tagaran weiter über das glänzende Holz, aber Rooke wusste, dass sie ihm zuhörte.
    »Warum, Tagaran? Warum wolltest du es wissen? Kannst du mir das bitte sagen?«
    Er hörte, wie das Wasser am Fuß der Landzunge unruhig gegen die Felsen schlug. Eine lose Schindel klapperte, das Segeltuch oben auf der Kuppel knarrte, eine Möwe stieß einen langen klagenden Schrei aus. Rooke wurde klar, dass er den ganzen Tag lang warten und andere Dinge hören könnte, von ihr jedoch keine Antwort bekäme.
    Er ging einen Schritt zurück.
    » Minyin tyerun Cadigal? «, fragte er. Warum haben die Cadigal Angst?
    » Gunin .« Sie sah ihm direkt in die Augen. Wegen der Gewehre.
    Das Wort selbst klang wie ein Gewehrschuss.
    »Brugden«, sagte er, hätte auch den Vornamen dieses armen Teufels genannt, doch erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er den gar nicht kannte. Tagaran neigte das Gesicht noch tiefer über den Tisch. Sie wusste, wer Brugden war und was mit ihm geschehen war.
    Rooke holte tief Luft und zwang sich weiterzureden. »Brugden wird sterben.«
    Tagaran sah ihn nicht an. Bis jetzt hatte er ihr nichts erzählt, was sie nicht schon wusste.
    »Sie wollen Carangaray suchen.«
    Tagaran blickte so ruckartig auf, als hätte er diesen Satz laut ausgerufen. Sie schlug die Hand vor den Mund und machte ein entsetztes Gesicht.
    Rooke tat so, als brächte er eine Muskete in Anschlag.
    »Morgen. Parribugo . Um Carangaray zu fangen. Und ein paar andere. Sechs Männer. Sechs eora .«
    Er hielt sechs Finger hoch, um ihr die Zahl zu verdeutlichen.
    Das hätte eigentlich schon genügt, doch nachdem er nun bereits so weit gegangen war, verspürte er den unwiderstehlichen Drang, noch weiter zu gehen.
    » Piabami Warunginyi? Würdest du es Warungin erzählen? Ich möchte gern, dass du Warungin Bescheid gibst.«
    Tagaran blickte ihm direkt in die Augen. Er sah ihr an, dass sie ihn verstanden hatte. Nicht nur die Worte, sondern auch, was er damit bezweckte.
    » Piabami Warunginyi? «, sagte er noch einmal.
    Es machte ihm Freude, diese Bitte in ihrer Sprache ausdrücken zu können. Jedes Wort begann mit einer betonten Silbe und fiel dann ab, und genauso hatte jeder einzelne Satz einen Melodieverlauf mit abnehmender Tonstärke. Es war eine Sprache, bei der allein die Sprachmelodie schon wie Vergebung klang.
    »Botany Bay«, sagte sie. »Carangaray suchen.«
    Dann ahmte sie Rookes Geste nach, tat so, als bringe sie eine Muskete in Anschlag.
    »Ja«, sagte Rooke. »Morgen früh.«
    Irgendwo über ihnen hörte er das Rascheln trockener Blätter im Wind und das Krächzen eines Vogels, das wie Schimpfen klang. Alles ging weiter wie bisher. Seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden hatten die Vorfahren dieses Vogels dort draußen gehockt und die Vorfahren dieser Blätter im Wind geraschelt. Nur hier drinnen in der Hütte hatte sich etwas verändert.
    »Ich auch. Ich soll mitgehen.«
    Die Worte ausgesprochen zu haben, war eine Erleichterung, aber nicht in dem Maße, wie Rooke es gehofft hatte. Wie ein kleines Kind hatte er geglaubt, man bräuchte etwas nur in Worte zu kleiden, um es los zu sein. Aber es saß nach wie vor zwischen ihnen, während dieser gefühllose Vogel dort draußen nicht zu merken schien, dass es hier nichts zu besingen gab.
    »Was soll jetzt geschehen, Tagaran? Was soll aus uns werden?«
    Diese Frage ging über das reine Spiel mit Worten hinaus. Sie lag außerhalb des Rahmens ihrer Grammatikstunden.
    Tagaran ging zum Kamin hinüber und hielt die Hände an die Glut. Rooke dachte, das wäre vielleicht

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