Australien 03 - Tal der Sehnsucht
In der Ferne konnten sie den angeschwollenen Fluss erkennen. Er war den stämmigen Eukalyptusbäumen entkommen, die ihn sonst wie stumme Wachposten flankierten, und lief jetzt Amok.
»Wir haben nicht die leiseste Chance, da rüberzukommen.« Jims Blick wanderte über die unheimlichen Fluten. »Im Grunde können wir geradeso gut zur Hütte zurückreiten. Wir haben für ein paar Tage zu essen. Wir werden die Sache einfach aussitzen müssen.«
»Komisch, aber ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass es so schlimm aussieht. Ich will nicht zurück, Jim. Am liebsten würde ich für immer hier draußen bleiben.«
»Vielleicht müssen wir das auch. Es sieht nicht so aus, als hätte deine Mum irgendwas unternommen. Glaubst du, ihr ist was zugestoßen? «
Rose zuckte mit den Achseln, sie wollte nicht an ihre Familie denken.
»Hoffentlich nicht«, sagte sie. Dann fiel ihr Dixie ein, die mit ihren Welpen im Stall eingeschlossen war, und Jims alter Hund, der inzwischen ein weiches Spezialfutter brauchte, weil sein Gebiss nur noch aus abgewetzten Stummeln bestand. Sie stellte sich vor, wie die arme Dixie von ihren Welpen leer gesogen und dabei dünner und dünner wurde, und wie der alte Bones erfolglos versuchte, die alten Schafsknochen durchzubeißen, die überall im Hof herumlagen. Wenigstens hatten Sassy und Morrison auf der Pferdekoppel genug zu essen und auch einen Unterstand.
»Wenn du dir wegen der Hunde den Kopf zerbrichst – das brauchst du nicht. Die kommen schon zurecht«, sagte Jim, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Hunde sind zäher, als du denkst. Und erfindungsreich. Ihnen wird schon was einfallen.«
Jim band Oakwood und seine Stute auf einer Lichtung nahe der Hütte an, wo sie die wild wachsenden Gräser fressen konnten. Rosie ging los, um den Kochkessel anzuwerfen. Sie füllte den rußgeschwärzten Kessel aus einer alten, riesigen Tonne, die so aufgestellt war, dass sie das vom Dach ablaufende Wasser auffing. Dann ging sie neben der Feuerstelle in die Hocke und schaute hoch in den tief hängenden, grauen Himmel. Sie schloss die Augen und atmete langsam aus.
»Was ist denn?«, fragte Jim.
»Wäre es nicht schön, wenn wir beide hier oben leben würden? Nur du und ich.«
»Und die Hunde und Pferde«, ergänzte Jim.
»Natürlich auch die Hunde und Pferde«, sagte sie und warf die trockensten Eukalyptusblätter, die sie finden konnte, in die Flammen.
»Könntest du das wirklich?«, fragte Jim und schleifte einen gefällten Stamm heran, auf dem sie sitzen konnten.
»Mit dir wäre alles möglich.«
Er beugte sich über sie und gab ihr einen langen Kuss. Ich würde wirklich gern hier oben bleiben, dachte Rosie verträumt. Ein einfaches Leben führen, so wie Jack Gleeson. Ein Leben mit harter Arbeit, Pferden, Hunden und den Nutztieren. Ein Leben draußen im Busch voller Freude an schlichten Dingen wie dem Regen und dem Sonnenuntergang und den Spielen der Tiere.
Doch dann lösten sich Jims Lippen von ihren, und er schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ich würde nicht darauf setzen, dass das deiner Familie gefallen würde.«
Bis zum nächsten Nachmittag hatte das Wasser die Weiden wieder freigegeben, und das Brüllen des Flusses war verstummt. An der Furt waren die Felsen, wo das Wasser zurückgegangen war, mit Zweigen und Gräsern bedeckt. Oakwood blieb schnaubend am Ufer stehen, und Rosie spürte, wie sich sein Körper unter ihr anspannte, aber auf den Druck ihrer Schenkel hin trat er ins Wasser und trug sie ans andere Ufer hinüber. Schweigend ritten sie den Weg entlang, spritzten durch Pfützen und sanken an den Gattern im Schlamm ein. Die Hunde trotteten hintennach, ausgezehrt und hungrig nach den Tagen ohne Fressen.
Jim, Rosie und die Hunde hatten fast drei Tage nichts Richtiges in den Magen bekommen. Sie hatten in der Hütte ein paar Dosen mit Erbsen, Karotten und weißen Bohnen in Tomatensoße gefunden, die sie mit Jims Trockensuppen kombiniert hatten. Trotzdem hatte ihnen allen der Magen geknurrt, und sie hatten lachend dem seltsamen Konzert gelauscht, das sie in der Hütte veranstalteten.
»Die Sinfonie des Hungers«, hatte Jim dazu gesagt, während er das heiße Wasser auf das letzte Päckchen Trockensuppe kippte, das sie miteinander teilen würden.
Jim und Rosie hatten regelmäßig den Fluss in Augenschein genommen und nach einem Kommando des Katastrophenschutzes Ausschau gehalten, das womöglich nach ihnen suchte. Sie hatten den Himmel abgesucht, ob nicht irgendwo ein Helikopter zu sehen
Weitere Kostenlose Bücher