Australien 03 - Tal der Sehnsucht
hinab, wenn sie das tote Holz aus der Bahn des Zaunverlaufs schleifte oder mit der Kettensäge Baumstämme zerteilte.
Abends brütete sie dann in Geralds Arbeitszimmer über den Büchern. Ihre Augen waren so müde, dass sie merkte, wie sie sich beim Lesen in den Spalten vertat. Dann konnte es passieren, dass sie eine Ausgabe für Wasserläufe und Entwässerungsgräben in die Spalte für Reparaturen und Instandhaltung eintrug. Oder die Mehrwertsteuer addierte, statt sie abzuziehen. In solchen Augenblicken steigerte sich ihre Wut auf Gerald ins Unermessliche, aber gleichzeitig war ihr bewusst, dass er nicht allein für den traurigen Zustand der Station verantwortlich war. Sie sollte sich glücklich schätzen, ermahnte sie sich. Immerhin hatte sie sich genau das gewünscht. Sie musste an den Tag denken, als sie Gerald das letzte Mal gesehen hatte.
Nicht lang nach der Überschwemmung waren Rosie und Julian zu einem Familientreffen in Giddys Hütte auf die Halbinsel gefahren. Gerald hatte in einem Sessel an dem kleinen Kamin gesessen, in dem die knisternden, orangefarbenen Flammen das zusammengesammelte Treibholz verschlangen, während Giddy ein Tablett mit Kräutertee auf dem balinesischen Tisch abgestellt hatte. Gerald machte auf Rosie einen total verwandelten Eindruck. Er wirkte ganz und gar nicht mehr steif und korrekt. Stattdessen trug er gewöhnliche Jeans und ein sandfarbenes Polohemd. Seine Füße waren nackt, und auf seinem Schoß lag, leise schnurrend, Giddys schwarze Katze.
»Danke, dass ihr uns besuchen kommt«, begrüßte er sie leicht verlegen. Rosie sah auf Julian, dessen Wangen in der Hitze des Zimmers rosa angelaufen waren. Auch er hatte sich verändert. Die Haare reichten ihm inzwischen fast bis auf die Schultern, und er wirkte ausgefüllter und irgendwie glücklicher. Giddy kam zu ihnen, ließ sich auf der Armlehne von Geralds Sessel nieder und schlug die schlanken Beine übereinander.
»Ich weiß, dass das für euch beide ein Schock sein muss«, sagte Gerald, »mich mit Giddy zusammen zu sehen.« Er legte seine Hand auf ihre. »Aber wir lieben uns schon seit Jahren. Es tut uns Leid, dass wir das so lange vor euch verheimlicht haben. «
Rosie rutschte betreten auf ihrem Stuhl herum, während sich Julian an seiner Teetasse festhielt.
»Wir wollten eurer Mutter nicht wehtun«, ergänzte Giddy.
Rosie wünschte, Jim wäre in diesem Moment bei ihr, aber er war auf der Farm geblieben, weil er darauf bestanden hatte, dass ihn diese Sache nichts anging … und außerdem jemand die Tiere versorgen musste.
Und natürlich musste jemand auf Margaret aufpassen. Seit sie Todesängste ausgestanden hatte, dass ihre Tochter in den Fluten ertrunken sein könnte, ertränkte sie ihren Kummer nicht länger in Alkohol oder Tabletten, aber sie war immer noch zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe. Jim hatte darauf bestanden, bei ihr zu bleiben.
»Mum?«, hatte Rosie ihre Mutter behutsam vorgewarnt. »Ich fahre Gerald besuchen.« Dann hatte sie innegehalten und abgewartet, wie ihre Mutter diese Nachricht aufnahm. Erst danach hatte sie den Stachel gesetzt. »Bei Giddy.« Statt hysterisch zusammenzubrechen, wie Rosie erwartet hatte, hatte Margaret nur wortlos genickt.
Als Rosie abfahrbereit neben dem Pajero stand, kam ihre Mutter mit zerknitterter Miene zu ihr. Rosie konnte ihr den Schmerz nachfühlen. Sie wusste, dass Margaret schreckliche Angst davor hatte, was bei diesem Treffen herauskommen mochte. Dass sie vielleicht das Haus verlieren könnte, in dem sie zwei Kinder großgezogen hatte. Und dass es ihr wehtat, Rosie an jenen Ort fahren zu sehen, an dem Giddy und Gerald jetzt lebten, und zwar zusammen. Und glücklich.
»Fahr vorsichtig.« Mehr brachte Margaret nicht heraus.
Jetzt, in Giddys Hütte, schluckte Rosie nervös. Insgeheim wartete sie darauf, dass Gerald erklärte, er wolle die Station verkaufen. Er beugte sich in seinem Sessel nach vorn.
»Also, ich will nicht lang um den heißen Brei herumreden. Falls es sich grausam anhört, so tut es mir Leid. Aber ich habe nicht die Absicht, nach Highgrove zurückzukehren… oder zu eurer Mutter. Niemals. Ich weiß, das muss ein Schock für euch sein, aber ich habe allzu lange eine Lüge gelebt.« Er räusperte sich.
»Darum glaube ich … entschuldige.« Er sah zu Giddy auf und drückte ihre Hand, »darum glauben wir, dass es das Beste ist, wenn ich Highgrove an euch beide überschreibe.«
Rosie und Julian blinzelten und trauten ihren Ohren nicht. »Du schenkst
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