Australien 03 - Tal der Sehnsucht
uns die Farm?«, fragte Rosie schließlich.
Gerald nickte. »Unter der Bedingung, dass ihr euch um eure Mutter kümmert. Sie muss ebenfalls von den Einnahmen leben. Und falls die Finanzen es zulassen sollten, würde auch ich gern eine bescheidene Rente beziehen.«
Julian und Rosie waren sprachlos. Alles, was sie je über Gerald als Vater, als Farmer und als Ehemann zu wissen gemeint hatten, stellte sich als Irrtum heraus. Beide starrten Gerald an, der mit ihrer Tante Händchen haltend vor ihnen saß. Julian atmete tief aus.
»Und? Was meint ihr dazu?«, drängte Giddy.
»Aber, aber …«, stammelte Rosie. »Sollte Julian nicht alles bekommen? Ich meine, du weißt … schließlich bin ich nicht… nicht deine leibliche Tochter.«
»Ach Rosie«, sagte Gerald. »Ich bin nicht stolz darauf, wie ich mich in der Vergangenheit verhalten habe. Aber du musst wissen, dass ich auf dich nie wütend war. Ich war wütend auf alles. Mein Leben war eine einzige große Lüge, aber mir fehlte immer der Mumm, etwas daran zu ändern.«
»Aber du hast nie – «, protestierte Rosie, doch Gerald hob abwehrend die Hand.
»Ich weiß nicht, wie ich dich überzeugen kann, mir zu glauben, aber ich verspreche dir, dass du dich von diesem Moment an auf mich verlassen kannst. Dass ich mich auf dich verlassen kann, weiß ich bereits. Julian hat mir erzählt, dass wir dich bei der Überschwemmung um ein Haar verloren hätten. Es tut mir so entsetzlich Leid, dass ich dich und Jim in diesem Chaos allein gelassen habe.«
»Ich habe dir all deine Zuchtkühe gerettet.« Rosie gab sich Mühe, ihre Bitterkeit nicht durchklingen zu lassen.
»Das weiß ich. Julian hat mir erzählt, wie tapfer du warst und dass die Farm seither so präzise läuft wie ein Uhrwerk. Ich bin so stolz auf dich, und ich bin dir unglaublich dankbar.« Gerald holte Luft. In seinen Augen standen Tränen. »Und ich schäme mich. Nur weil ich so dumm und wütend war, habe ich dich von der Farmarbeit fern gehalten. Giddy hat mir das vor Augen geführt. Es tut mir Leid, Rosie. Ich liebe dich wie mein eigenes Kind. Das habe ich erkannt, als ich dich um ein Haar verloren hätte.«
Rosie lehnte sich zurück, auch ihr brannten die Augen. Giddy lächelte milde.
»Und was ist mit dir, Julian? Was meinst du zu der Entscheidung deines Vaters, Highgrove zwischen dir und Rosie aufzuteilen? Hast du das Gefühl, dass die Station dir allein zustehen sollte?«
»Nein! O Gott, nein!« Plötzlich war Julian hellwach. »Es ist nur, es ist ein Schock. Die ganze Geschichte. Damit ändert sich einfach alles, versteht ihr? Ich bin froh, dass Rosie die Hälfte bekommt, ehrlich. Aber ganz ehrlich …« Julian verzog das Gesicht, »ich bin noch nicht bereit, wieder heimzukommen.«
»Das macht nichts«, sagte Gerald. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, um eine Entscheidung zu fällen. Ich weiß, dass ich dich immer unter Druck gesetzt habe. Lass dir Zeit. Wenn Rosie nichts dagegen hat? Du hast doch zusammen mit Jim die Sache im Griff, oder? Wenn du weiterhin die Station leitest, würde uns das eine Atempause geben, bis wir uns alle an die veränderte Situation gewöhnt haben. Was meinst du? Willst du es wagen, Rosie?«
Rosie nickte lächelnd, denn bei der Aussicht, Highgrove zu leiten, überlief sie eine Gänsehaut – vor Angst und vor Freude zugleich.
Als Rosie nach Highgrove zurückkehrte, stand Jim in seinen verblichenen Arbeitssachen auf dem Hof. Er schloss sie in die Arme und drückte sie an seine Brust. Sie atmete seinen Duft ein und spürte seine festen Muskeln unter ihren Händen.
»Ich habe dich vermisst«, sagte Rosie.
»Du warst nur eine Nacht weg«, wandte er lächelnd ein.
»Trotzdem …« Sie hatte die Neuigkeiten nicht am Telefon erzählen wollen, aber jetzt konnte sie es nicht mehr erwarten, ihm alles zu berichten.
»Und wie ist es gelaufen? Wann müssen wir raus?«
Rosie sah zu Boden und holte tief Luft, um es möglichst dramatisch zu machen.
» Niemals!«, jubelte sie dann. »Er will nicht verkaufen! Er überschreibt alles an Julian und mich!«
Sie hüpfte vor ihm auf und ab, ohne seine Hände loszulassen. Jim drückte sie und küsste sie, doch gleich darauf bremste er sie und sah sie ernst an.
»Bist du sicher, dass du das auf dich nehmen willst? Es ist ein harter, sehr harter Job. An der Schafzucht ist schon manch einer zerbrochen. Und es ist nicht so, als würde er dir eine Station mit gesunden Büchern, gesunden Böden und üppigen Weiden überlassen.
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