Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
vertreiben ist für viele Politiker ein bequemes Mittel, um Eindruck bei ihren Wählern zu machen. Wir sind jedoch der Meinung, dass es katastrophale Folgen hat, wenn sich eine schlecht informierte Mehrheit der Wähler bei der Bewirtschaftung öffentlicher Wälder für ein ›Lass es wuchern und später brennen‹ entscheidet. Dieser Ansatz wird letztendlich zu einer massiven Schädigung von Flora und Fauna führen, wenn es zu infernalischen Buschbränden kommt – und die werden mit Sicherheit ausbrechen.«
Emily schauderte. Sie hatte in ihrem jungen Leben schon viele Brände bekämpft, die allerdings nie wirklich gefährlich gewesen waren. Aber nachdem das Buschland in ihrer Gegend seit Jahren nicht mehr durch kontrollierte Brände gelichtet worden war, fragte sie sich doch, wann dieser apokalyptische Brand wohl ausbrechen würde. Jetzt war es Herbst, damit hatten sie höchstwahrscheinlich ein weiteres Jahr überstanden, aber alle, die im Busch lebten, wussten, dass ihnen irgendwann eine Brandkatastrophe bevorstand.
Redgum wechselte das hintere Standbein, und Rod wartete mit seiner Rede ab, bis sein Pferd wieder zur Ruhe gekommen war.
»Wie haben es die Vorfahren der Cattlemen in den Bergen geschafft, so viele Buschbrände zu überleben, wo sie zur Brandbekämpfung nicht mehr als ein paar Leinensäcke, ein paar Zweige und eine Schachtel Zündhölzer besaßen? Die Aborigines vor ihnen besaßen sogar noch weniger. Aber alle wussten, wann man wo ein Feuer legen musste. Sie löschten nicht jeden natürlichen Brand, bis sich überall Unmengen von Brennmaterial aufgehäuft hatten. Doch jetzt sehen Sie sich hier um! Sehen Sie sich dieses Gestrüpp an. Alle verfügbaren Hubschrauber und die vielen tausend Feuerwehrleute mit ihrer millionenschweren, hochmodernen Ausrüstung können hier nichts mehr ausrichten, wenn erst einmal ein Großbrand ausbricht.«
Emily spürte, dass ihr die Tränen in den Augen brannten. Sie hatte mit ansehen müssen, wie jener Teil des Hochlandes, den sie nutzten, unter dem Brandrodungsverbot litt, und sie konnte jetzt, nachdem sie das Wonnangatta gesehen hatte, vorhersehen, wie die Hochlandfarm der Flanaghans bald verfallen würde. Es bliebe nichts weiter übrig als ein undurchdringlicher Dschungel aus Unkraut und eingesunkenen Zäunen, durchzogen von den tiefen Furchen der Geländewagenreifen, die sich ins Mark des Landes wühlten. Sie wendete ihr Pferd und ritt davon, weil sie allein sein musste, um die tiefe Depression abzuschütteln, die sie überkommen hatte. Sie dachte an ihre Mädchen, die bei Evie untergebracht waren, und wünschte sich, sie könnte die beiden umarmen und dadurch Trost schöpfen.
Eine Reporterin mit Notizblock und glänzenden Lederhalbschuhen sprach sie an, obwohl ihr anzusehen war, wie sehr sie sich vor dem Pferd fürchtete.
»Läuft es gut?«, fragte sie. Emily sah auf die Reporterin herab und registrierte, dass ihr so hübsches Gesicht unter einer dicken Schicht Make-up verborgen war und dass ihre weiße Bluse Schweißflecken bekommen hatte. Ihr gesträhntes Blondhaar sah windzerzaust und gar nicht mehr schick aus.
»Es ist nicht gerade ein Picknick, aber wir sind zufrieden.« Emily gab sich alle Mühe, fröhlich zu klingen.
Die Reporterin sah sich um. »Die Gegend hier ist wunderschön, nicht wahr? So viele Blumen und so viel Gras.«
»Wunderschön?«, wiederholte Emily fassungslos. Das hier? Ja, die Landschaft war wunderschön, aber das Land selbst war in einem schrecklichen Zustand. Schockierend. Herzzerreißend sogar. Konnte diese Frau das nicht erkennen?
Emily blickte in ihr lächelndes Gesicht mit den leicht zusammengekniffenen Augen und begriff, dass sie es wirklich nicht erkannte. Die Reporterin sah nur Bäume, Wiesen und Himmel. Für sie sah das hübsch aus. Emily wurde schlagartig klar, dass Menschen, die hier nicht lebten, tatsächlich nichts sehen konnten – nicht einmal, wenn die Katastrophe unmittelbar bevorstand.
Sie sahen Grün und waren überzeugt, dass keine Trockenheit herrschte. Sie sahen Gras und Blumen und keine giftigen Unkräuter. Sie sahen Bäche, kein mattes, lebloses Wasser; steile Abhänge, aber keine Erdrutsche. Sie sahen Rinder und Dung zwischen alpinen Blumen und hielten das für schlecht. Sie begriffen nicht, dass sich dieses Gras im Lauf der Jahrtausende zum Weidegras entwickelt hatte, dass es seine ganze Süße in den Blättern speicherte, sodass die Halme von den Tieren auf genau die richtige Länge abgefressen wurde.
Sie
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