Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
ihren Stirnen. Im Kerzenlicht sah sie kleine Atemwolken gleichmäßig und rhythmisch in der eisigen Luft aufsteigen. Wieder zweifelte Emily an ihrer Entscheidung, die Mädchen an einen so kalten, abgeschiedenen Ort zu bringen. War das wirklich richtig gewesen? Konnten sie und die Mädchen tatsächlich hier überwintern? In der ersten Nacht hatte sie daran gezweifelt, doch dann hatte sie an Evie gedacht und sich mit dem Wissen getröstet, dass sie nicht weit weg war.
Als sie spätabends in tiefster Dunkelheit hier eingetroffen waren, hatten sie festgestellt, dass Evie schon eine Glut angeschürt und eine dicke neue Kerze angezündet hatte, dass frisch gebackenes Brot auf dem Tisch stand und ein mit Speck verfeinerter Wallaby-Eintopf auf dem warmen Herd wartete. Außerdem hatte sie den riesigen alten Vorratsschrank mit Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, Kohlrüben, Mehl, Reis, Äpfeln und Nudeln aufgestockt und die Regale mit Dosen vollgestellt. Nachdem Emily ebenfalls Vorräte mitgebracht hatte, konnten sie sicher sein, dass sie reichlich zu essen hatten, falls sie wirklich eingeschneit wurden. Evie hatte auch eine Nachricht hinterlassen: Die Zeit heilt, und gute Gedanken tun das auch. Emily sandte ihr einen stillen Dank für ihre Fürsorge durch die Nacht. Jetzt fiel sie erschöpft ins Bett und nach einer Weile in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie immer wieder der gespenstisch über das Farmhaus jaulende Wind riss.
»Was habe ich nur getan?«, fragte sie sich laut in tiefdunkler Nacht und kam sich plötzlich schrecklich allein vor.
Genau in diesem Moment durchschnitt das Schrillen des Funktelefons die Stille.
Das war bestimmt ihr Dad. Emily eilte den Flur hinunter in die Küche und griff hastig nach dem Hörer.
»Hallo?«, meldete sie sich so fröhlich, wie sie nur konnte.
»Wie kannst du es wagen, sie in die Berge zu verschleppen, ohne mich zu fragen?«
Clancys Stimme ließ ihre Sicherung durchbrennen.
»Ohne dich zu fragen ? Ohne dich zu fragen? Du hast keinen einzigen meiner Anrufe erwidert. Sei kein solches Arschloch, Clancy! Und erspar mir deine dämlichen Spielchen. Du hast den Mädchen das Herz gebrochen, ist dir das eigentlich klar?«
Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Dann: »Du hörst noch von mir. Dieser Scheißhaufen von einem Haus ist kein Ort, wo man mit seinen Kindern den Winter verbringt.«
»Seit wann weißt du denn, was gut für die Kinder ist und was nicht? Und du bist betrunken. Du rufst immer nur an, wenn du betrunken bist. Du Loser!« Als Emily den Hörer auf die Gabel warf, tobte in ihr ein noch heftigerer Sturm als draußen.
Am nächsten Morgen erwachte sie in absoluter Stille. Der Wind hatte sich gelegt, und mit ihm war auch ihre Wut über Clancys Drohungen verweht. Sie zog die Jalousien hoch und blickte mit angehaltenem Atem auf die märchenhafte Landschaft vor dem Fenster. Alles lag friedvoll unter einer weißen, weichen Schneedecke. Sie sprang aus dem Bett. Ihre Sachen waren klamm und eiskalt. Sie eilte los, um den Ofen anzuheizen und Megs und Tillys Anziehsachen zum Aufwärmen davorzulegen. Hatte Clancy vielleicht recht?
Als sie zur Toilette ging, begriff sie, dass die Rohre wahrscheinlich schon zugefroren waren und die Zisterne bereits geleert war. Flo hatte sie gewarnt, dass sie für die Toilettenspülung Wasser aus dem Brunnen holen müsste und kein Wasser in der Toilette stehen lassen durfte, weil sonst das Porzellan einfrieren und platzen konnte. Der Sitz war so kalt, dass er ihr wie Gefrierbrand in die Schenkel schnitt. Ihre Füße und die Nase schmerzten vor Kälte. Als sie in die Küche ging, um Tee zu kochen, fiel ihr wieder ein, dass sie kein fließendes Wasser hatten. Sie würde Schnee holen und auf dem Herd schmelzen müssen. Emily hätte am liebsten losgeheult. Doch weil ihr Clancys Drohung noch im Genick saß, zwang sie sich zu lachen. Sie hatte noch viel zu lernen, das war alles.
Wenig später trat sie mit einer Ansammlung von Töpfen ins Freie und genoss das Knirschen der Schneedecke unter ihren Füßen. Sie scheuchte Rousie von dem Fleck weg, an dem sie die Töpfe mit Schnee vollschaufelte. Am tiefsten erschien ihr der Schnee auf der Ostseite des Holzschuppens, aber auch sonst lag alles um sie herum unter einem weißen Tuch. Aus den Baumwipfeln schallten die Rufe von Krähen und schwarzen Eichelhähern. Rousie kläffte vor Aufregung über diese kalte, fremde Welt, und sein Gebell hallte aus dem Busch wider.
Als Emily wieder ins Haus trat, kam ihr die
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