Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
zusammengebissene Zähne fauchte das Mädchen: »Die Wildlife Society wird Schadensersatz von Ihnen verlangen.«
»Ich musste das Kostüm aufschneiden. Wenn man einen Bruch vermutet, kann man gar nicht vorsichtig genug sein«, erklärte ihr der Sanitäter müde. »Außerdem hat dieses Rattenkostüm eindeutig schon bessere Zeiten gesehen. Sie könnten sich mal ein neues zulegen.«
» Ratten kostüm?«, wiederholte das Mädchen schockiert. »Das ist ein Kaninchennasenbeutler ! Ein heiliges Tier!«
Der Sanitäter ließ die Trage ungebremst vom Krankenwagen herunterrollen.
»Autsch! Vorsichtig!«, protestierte sie.
»Entschuldigen Sie, Schätzchen.« Er drehte die Trage im Halbkreis und fixierte sie mit seinen dunklen Augen. »Für mich sieht das wie eine Ratte aus.«
»Der Kaninchennasenbeutler ist eine bedrohte Tierart, die den Anangu heilig ist und dringend geschützt werden muss.« Sie verschränkte die pelzigen Arme vor dem Kaninchennasenbeutlerbauch und reckte das Kinn vor.
»Ach?«, meinte der Sanitäter ungerührt.
»Genau daran geht unsere Welt zugrunde!«, fauchte das Mädchen ihn an. »An Menschen wie Ihnen, denen alles egal ist! Wie gehen Sie überhaupt mit Ihren Patienten um?«
Emily konnte erkennen, dass der Sanitäter allmählich wirklich böse wurde. Er verschränkte genau wie das Mädchen die Arme vor dem Bauch und reckte aggressiv den Kopf vor. »Sie wollen also, dass ich in die Tanamiwüste rausziehe, Schätzchen, und den kleinen Dingsbeutler rette? Ihm ein Naturschutzgebiet einrichte? Oder glauben Sie, dass man mehr bewirkt, wenn man sich als Ratte verkleidet und mit dem Fahrrad durch den Stoßverkehr kurvt? Klingt wirklich vernünftig!« Er klatschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, fasste dann in den Krankenwagen und zog den Kopf des Kostüms heraus. »Das hier zählt wohl kaum als Helm, Missy«, sagte er. »Und es sieht ganz eindeutig nach einer Ratte aus.«
»Ich bin nicht Ihre Missy, klar? Und zum allerletzten Mal – das ist ein Kaninchennasenbeutler!«, erklärte das Mädchen mit Nachdruck, bevor sie den wütenden Blick auf Emily richtete. »Und was gibt’s da zu feixen? Ich leide.«
»Das kann ich sehen«, sagte Emily. »Seien Sie froh, dass Sie kein Pferd sind. Sonst hätten die Sie gleich erschossen. Wenigstens können Sie dankbar sein, dass die Leute hier so gute Arbeit leisten. Die biegen Sie schon wieder hin.« Der Sanitäter zwinkerte ihr zu, und sie machte sich lächelnd auf den Rückweg durch den Krankenhausgarten. Sie konnte es nicht mehr erwarten, von hier wegzukommen.
Etwas später saß Emily auf einer Bank unter einem wunderschönen Eukalyptus mit weißem Stamm und ließ sich von der Sonne wärmen. In ihrer Tasche spielten ihre Fingerspitzen mit der zusammengefalteten Zeichnung, die Meg und Tilly ihr aus Dargo mitgebracht hatten. Außerdem hatte sie ein Foto von Snowgum eingesteckt, die zum ersten Mal seit dem Unfall aus dem Stall gelassen worden war und jetzt das grüne Gras auf dem Rasen vor Tranquility fraß. Die Trennung setzte Emily so zu, dass ihr die Tränen einschossen, sobald sie die Bilder mit ihren Fingern berührte.
Sie lehnte den Kopf zurück, schaute in den Eukalyptuswipfel auf und dankte Gott, oder wer auch immer da über den Baumwipfeln schwebte, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Dann ergänzte sie: Aber bitte lass mich endlich zu meiner Familie zurückkehren und ein neues Leben anfangen!
Just während dieses Stoßgebetes bemerkte sie ihn zum ersten Mal: einen dunkelhaarigen Mann ungefähr in ihrem Alter, der in einem alten Datsun saß. Mehrmals fuhr er in seiner knatternden, klapprigen Karre vorbei und suchte vergeblich nach einem freien Parkplatz. Er hatte etwas an sich, das ihren Blick auf ihn lenkte und sie festhielt. Doch was es war, konnte sie nicht sagen.
Schließlich parkte er geschickt rückwärts auf der anderen Straßenseite ein, stieg aus, fädelte sich behände durch den Verkehr und kam zum Krankenhaus gejoggt. Er trug ausgeblichene, tief sitzende Blue Jeans und ein olivgrünes T-Shirt mit dem Aufdruck Save the Tarkine Wilderness , das an den Ärmeln aufgerollt war und unter dem sich ein perfekter Bizeps abzeichnete. Seine Blundstone-Stiefel waren stadtfein geputzt, und das dünne Lederbändchen am Handgelenk verlieh ihm etwas Cooles. Seine langen Haare bildeten einen dichten, schwarzen Lockenschopf und umrahmten ein männliches, glatt rasiertes Gesicht. Die großen Augen waren dunkelbraun wie Bitterschokolade. Er merkte,
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